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317 - Die letzten Stunden von Sodom

317 - Die letzten Stunden von Sodom

Titel: 317 - Die letzten Stunden von Sodom
Autoren: Ronald M. Hahn
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treuer Diener der Götter sein Glück machen und das Leben einem viele Freunde bescheren würde.
    Dann hatte sein Halbbruder Orlok ihm mit einem Holzscheit das Nasenbein gebrochen, ihm ins Gemächt getreten und ihn einen »verfluchten Bankert [2] « genannt, der später mal in seinem Königspalast höchstens die Aborte reinigen dürfe.
    Diese Gemeinheit hatte Melchior Orlok ebenso wenig verziehen wie seine – meist erfolgreichen – Versuche, ihn bei jeder Gelegenheit aufgrund seiner Körpergröße lächerlich zu machen. Damals war Melchior noch täglich in den Tempel gegangen und hatte die Götter gebeten, ein Blitz möge seinen Bruder treffen.
    Die Götter Sodoms hatten ihn nicht erhört. Also hatte Melchior sich wutschäumend der finsteren Dämonengottheit Kroak zugewandt. Kroak war der oberste Gegenspieler der Gottheiten, denen die Sodomiter ihre Existenz verdankten; eine Mischung aus einer Echse und einem Krokodil. Sein Bildnis prangte über dem Haupttor der Stadt, um jeden abzuschrecken, der Böses im Schilde führte.
    Die angeblich guten Götter hatten Orlok nach dem Tod ihres gemeinsamen Vaters Bera zum König gemacht. Für Melchior war nur ein kleines Amt übrig geblieben: Er war nun Hauptmann der Stadtgarde; Herr über hundert meist tumbe Söldner, die den Geist nicht mit Schaumlöffeln gefressen hatten und denen man jeden Handgriff erklären musste.
    Ich bin nur einer von zehn Hauptleuten, dachte Melchior griesgrämig, als er am Haupttor stand, um den Zustrom der Besucher zu begutachten: Bürger, die von einer Reise zurückkehrten; Bauern aus dem Umland, die in Sodom Waren feilbieten wollten; Kaufleute aus den Nestern der Umgebung, deren Ziel es war, sich mit hochwertigen Waren sodomitischer Handwerker einzudecken; Huren, die von den Gelüsten wohlhabender Städter profitieren wollten; und der eine oder andere Hirte, der mit seinen Ziegen vor dem heraufziehenden Unwetter hinter die Stadtmauern floh. Dazu noch die üblichen Diebe und Räuber, die man aus anderen Städten des Jordanlandes vertrieben hatte und die ihr Glück nun hier versuchten.
    Diese Leute zu überprüfen war Melchiors Beruf, den er nach bestem Wissen und Gewissen ausfüllte. Tagediebe, denen man schon von fern ansah, dass sie nur gekommen waren, um sich zu bereichern, warfen seine Männer achtkantig zum Tor hinaus.
    Zusätzlich hielt Melchior aber auch Ausschau nach Besuchern, deren körperliche Attraktivität ihm ins Auge sprang. So wie zum Beispiel der flachshaarige Bengel, der sich auf einer Höhe mit dem zweispännigen Fuhrwerk des Kaufmanns Lot befand. Als Melchior aus dem Wachlokal am Stadttor trat, fiel ihm seine grazile Gestalt sofort auf. Heiße Phantasien wurden in ihm wach. Obwohl er das Jordanland in seinen dreißig Lebensjahren noch nie verlassen hatte, wusste er von weit gereisten Kaufleuten, dass im hohen Norden solche Haarfarben üblich waren.
    Der in einen schäbigen Umhang gehüllte Knabe war so schön, dass Melchior wie vom Donner gerührt stehen blieb. Er fragte sich, wie es ihm gelingen könne, den Bengel zu jenem Tun zu überreden, das ihm gerade durch den Kopf ging. Als zwei grobschlächtige Torwächter sich des Knaben annahmen, um ihn nach Waffen oder Schmuggelware zu durchsuchen, wusste er es: Es machte immer einen guten Eindruck, wenn man einem Menschen zu Hilfe kam, der sich in Bedrängnis wähnte.
    »Weg da!«, fauchte Melchior. Die Nilpferdpeitsche in seiner Rechten knallte. Er drängte die Torwächter beiseite, die sofort um Vergebung baten, und befahl ihnen, jemand anderen zu überprüfen.
    »Ich bin Hauptmann Melchior«, sagte er zu dem flachshaarigen Knaben, dessen außergewöhnliche Schönheit ihn nun, da er ihn aus der Nähe sah, noch mehr bezauberte. »Wie ist dein Name, Junge, und was führt dich nach Sodom?«
    Der Jüngling, der höchstens zwanzig Sommer gesehen hatte, setzte einen leicht verdutzten Blick auf. Natürlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ein mächtiger Mann ihm so freundlich gesonnen war. Zwei Kerle schienen ihn zu begleiten: der eine ebenfalls flachshaarig, doch mit harten, männlichen Zügen, die ihn für Melchior nicht anziehend machten; der andere ein beleibter dunkelhaariger Klotz.
    Der Hauptmann schenkte ihnen keine Beachtung. Er war daran gewöhnt, dass man ihm Respekt zollte. Er war im ganzen Land als Halbbruder des Königs bekannt. Jeder wusste von seinem Jähzorn, der sich spontan zeigte, sobald ihm ein Wunsch verwehrt wurde. Wenn diese Fremden von ihm gehört hatten,
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