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303 - Tod einer Königin

303 - Tod einer Königin

Titel: 303 - Tod einer Königin
Autoren: Jo Zybell
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unter dem Apfelbaum vor dem Grab seiner Tochter sitzen. Das Bild hatte sich tief in ihren Geist eingegraben, so tief, dass sie fürchtete, es nie wieder loszuwerden.
    »Bei Wudan«, murmelte sie, »ich habe dich so geliebt. Alles habe ich für dich gegeben. Alles...«
    Und dann sah sie sich und ihn in der Gegend jener Ruine, von wo sie den versteckten Panzer geholt hatten. Wo sie die letzte gemeinsame Nacht verbracht hatten.
    Bei Wudan – wie kraftvoll hatte er sie da genommen und wie leidenschaftlich hatte sie sich ihm hingegeben! Sie schloss die Augen, hielt die Bilder fest, und ihr war plötzlich, als würde sie seine Küsse auf ihrer Haut spüren, als würde sie in seinen Armen und unter seinen Stößen ertrinken.
    Ich liebe dich , hörte sie ihn flüstern und: Ich will dich überall lieben.
    Doch dann stand ihr wieder sein versteinertes Gesicht vor Augen, als sie zu ihm ans Zelt gekommen war, und sie hörte seine harte, abweisende Stimme sagen: » Das ist so lange her, dass ich mich kaum erinnern kann. Du hast meine Tochter getötet.«
    »Aruula!«
    Ihr eigener Name drang ihr ins Bewusstsein und riss sie aus den Tagträumen.
    »Aruula!« Eine Frauenstimme rief sie, Arjeela. Plötzlich merkte Aruula, dass es bereits dunkel wurde; und dass sie weinte, merkte sie auch.
    »Was ist?«, rief sie mit brüchiger Stimme in den Wind, ohne sich nach Arjeela umzudrehen. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter.
    »Lusaana ist zu sich gekommen! Sie will dich sprechen!«
    »Ich komme sofort! Lasst mich noch einen Augenblick allein!« Sie lauschte den sich entfernenden Schritten und dem Knarren einer Luke.
    Mit ihrem Haar wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. »Du hast es nicht verdient, Maddrax!« Wie um sein Bild zu verscheuchen, fuhr sie mit der Rechten durch die Luft. »Du hast es nicht verdient, dass ich um dich weine! Es ist aus, aus und vorbei!«
    Sie schulterte ihr Schwert, wandte sich von der Heckreling ab, lief zu den Deckaufbauten und riss die Luke auf, hinter der eine schmale Treppe zur Kapitänskajüte hinabführte. Dorthin hatten sie die schwer verletzte Königin gebettet.
    Als sie die Kajüte betrat, war Maddrax’ Bild verblasst und die Erinnerung an ihn nur noch ein bohrender Schmerz am Grund ihres Hirns. Vier Kriegerinnen und zwei Kinder wachten an Lusaanas Krankenlager; alle, die an Deck gerade nicht gebraucht wurden.
    Sie machten ihr Platz und Aruula setzte sich auf einen ledernen Hocker neben der Kapitänskoje.
    »Aruula...« Lusaana flüsterte; ihre Stimme klang, als wollte sie sich jeden Moment verflüchtigen. »Es ist Zeit. Wudan ruft mich an seine Festtafel.«
    Aruula lehnte ihre Langklinge in eine Nische unter einer Wandöllampe. In dem Kristall, der im Schwertgriff eingelassen war, brach sich ihr Licht. Einen Atemzug lang betrachtete Aruula den Kristall mit Aikos Bewusstsein. Merkwürdig – warum musste sie ausgerechnet jetzt an jenen schrecklichen Augenblick denken, als sie in der qualligen Körpermasse des Koordinators gestanden hatte und die Tür zu Crows Geist sich ihr für einen glasklaren Moment geöffnet hatte.
    Hätte sie nicht gesehen, was sie in diesem glasklaren Moment gesehen hatte, wäre Ann wohl noch am Leben. Oder schon versteinert? Als erstes von unzähligen folgenden Opfern, die Mutters Ursprung gefordert hätte?
    Sie wandte sich um und trat an Lusaanas Lager. »Ich bin hier, meine Königin.« Sie ergriff ihre Hand und begriff im selben Augenblick, dass sie am Lager einer Sterbenden stand. Aruula versuchte zu lächeln. Tränen stiegen ihr schon wieder in die Augen. Sie schluckte. Lusaanas Hand fühlte sich an wie eine Fledermaus, die jemand tot aus dem Feuer geborgen hatte.
    »Kein Wort mehr«, flüsterte Lusaana, und weil Aruula fürchtete, etwas Wichtiges aus ihrem sterbenden Mund zu überhören, neigte sie ihr Ohr tief zur Königin hinab. »Kein Wort mehr über die Zeit...«, die Königin rang um Atem, »… die Zeit im Hüttendorf. Ich wusste ja nicht, was ich tat, und die drei Jungkrieger... die beiden Fischer und Dykestraa, Arjeela und Tumaara... wir wussten es nicht...«
    »Ist schon gut.« Aruula drückte ihr die heiße Hand. »Ihr ward nicht Herr eures Willens«, sagte sie. »Niemand, den die Schatten in Stein verwandelt hatten, hatte noch Macht über seinen Willen.«
    »Wudan wird es verzeihen.« Lusaana lächelte. Wie schön sie jetzt noch einmal aussah. »Er verzeiht so viel...« Ihre knochigen heißen Finger schlossen sich um Aruulas Hand und zogen sie
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