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3 - Wächter des Zwielichts

3 - Wächter des Zwielichts

Titel: 3 - Wächter des Zwielichts
Autoren: Sergej Lukianenko
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gewöhnlicher Magier so loslegen, dass er einen Hohen Mores lehrt. Nein, alles steht und fällt mit der Freiheit. Ein Unterschied wie zwischen einem Schwimmer - und möge er noch so begabt sein - und einem Delphin - selbst wenn dieser extrem träge ist.
    Wie schwer muss es für Swetlana gewesen sein, mit mir zusammenzuleben, ihre Kraft zu vergessen, ihre Freiheit zu vergessen? Das lässt sich nicht mit dem Unterschied zwischen stark und schwach vergleichen, sondern nur mit dem zwischen einem Gesunden und einem Invaliden...
    Aber die gewöhnlichen Menschen leben doch auch, oder? Zusammen mit Blinden und Lahmen. Denn das Wichtigste ist eben nicht die Freiheit. Freiheit - das ist eine Rechtfertigung für Arschlöcher und Idioten. Wenn die von Freiheit sprechen, denken sie nicht an die Freiheit der andern, sondern an die eigene Sklaverei.
    Und selbst Kostja - der kein Idiot und kein Arschloch ist - hängt an jenem Haken, an dem sich schon die Revolutionäre aller Couleur die Lippen aufgerissen haben - von Spartakus bis Trotzki, vom Bürger Robespierre bis zum Commandante Che Guevara, von Jemelka Pugatschow bis zum namenlosen Selbstmordattentäter.
    Wäre ich selbst nicht auch daran hängen geblieben? Noch vor fünf oder zehn Jahren?
    Wenn man mir gesagt hätte: »Man kann alles auf einen Schlag ändern - und zwar zum Guten!« Aber das hat zum Glück keiner.
    So bin ich noch einmal davongekommen, zusammen mit denjenigen, die mir etwas bedeuten. Die bei den Worten »Freiheit und Gleichheit« immer voller Zweifel den Kopf schütteln.
    Vor mir öffnete sich das Portal: ein hellblaues Prisma, leuchtende Schnüre als Rippen, eine glimmernde Hülle als Grenze...
    Ich schob die Schnüre mit den Händen auseinander und trat ins Portal. 

Sieben
    Was an Portalen nicht gut ist: Man hat keine Möglichkeit, sich auf den neuen Ort einzustellen. Ein Zug ist in dieser Hinsicht ideal. Du betrittst dein Abteil, wechselst die Jeans gegen Trainingshosen und die Schuhe gegen Gummilatschen, entspannst dich bei Speis und Trank und kommst - falls du das Pech hast, allein zu fahren - mit deinen Mitreisenden ins Gespräch. Die Räder rattern, der Bahnsteig entschwindet. Das war's, du bist unterwegs. Du bist ein andrer Mensch. Du teilst deine geheimsten Sorgen mit Unbekannten, streitest über Politik, obwohl du dir gelobt hast, nie über sie zu streiten, trinkst fragwürdigen, auf einem kleinen Bahnhof erworbenen Wodka. Du bist nicht hier und nicht da. Du bist unterwegs. Unternimmst deine eigene kleine Queste, in dir steckt etwas von Frodo und etwas von Paganel, dann noch ein Tröpfchen Robinson und ein ganz klein wenig von Radischtschew. Vielleicht dauert deine Reise nur ein paar Stunden, vielleicht ein paar Tage. Das Land ist groß, und es zieht vor den Fenstern deines Abteils vorbei. Du bist nicht hier. Du bist nicht da. Du bist ein Reisender.
    Bei einem Flugzeug sieht die Sache schon anders aus. Trotzdem bereitest du dich auch hier auf deine Reise vor. Du kaufst ein Ticket, stehst in aller Herrgottsfrühe auf, setzt dich in ein Taxi und fährst zum Flughafen. Die Räder schlucken die Kilometer, du guckst in den Himmel, bist in Gedanken bereits in der Luft. Das nervöse Durcheinander im Wartesaal, löslicher Kaffee im Restaurant, das Einchecken, die Sicherheitskontrolle, wenn du ins Ausland fliegst der Zoll und der Duty-free-Shop, die kleinen Freuden der Reise vor den engen Flugzeugsitzen, dem Heulen der Turbinen und dem optimistischen Slogan der Stewardess. »Die Notausgänge befinden sich ...« Und dann verschwindet die Erde bereits unter dir, die Hinweisschilder gehen aus, die Raucher verdrücken sich schamhaft in die Toilette, die Stewardessen übersehen sie taktvoll, das Mittagessen wird in kleinen Plastikschüsseln gebracht, denn aus irgendeinem Grund schlagen sich bei Flügen immer alle den Magen voll. Das ist keine Reise im eigentlichen Sinne. Das ist ein Ortswechsel. Aber ... aber trotzdem siehst du unter dir Städte und Flüsse dahinschwinden, blätterst im Reiseführer oder überprüfst, ob die Bestätigung deiner Dienstreise in Ordnung ist, denkst darüber nach, wie du die Geschäftsverhandlungen führen sollst oder wie du den zehntägigen Urlaub im gastfreundlichen Land Türkei/Spanien/Kroatien am vergnüglichsten verbringen kannst. So oder so, du bist unterwegs.
    Ein Portal ist ein Schock. Ein Portal ist ein Wechsel im Bühnenbild, ist eine Drehbühne im Theater. Du bist hier - und du bist da. Ohne unterwegs zu sein. Und ohne
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