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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben
Autoren: Karl May
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Vorwort
    Karl May hätte die Geschichte seines Lebens vielleicht nie geschrieben – aber auf dem Höhepunkt seiner schriftstellerischen Karriere hatte ihn ein Ereignis wie ein Donnerschlag aufgeschreckt: einflußreiche Journalisten machten ihm den Vorwurf, er sei ein ‚Verderber von Moral und Sitte‘. Wie das? Er selbst verstand sich doch als ein ‚Erzieher der Jugend‘; und ein millionenfaches Leserpublikum sowie eine Anzahl wohlwollender Kritiker hatten ihm diese Selbsteinschätzung auch bestätigt. Sollten sie sich alle geirrt haben?
    Mehr und mehr lüftete sich seit 1905 der Schleier eines Geheimnisses – erste Fakten über Karl May's Jugendjahre und die schriftstellerischen Anfänge wurden bekannt: Gefängnis wegen Diebstahls, vier Jahre Zuchthaus wegen fortlaufender Betrügereien, ehemalige Mitarbeit in einem ‚Schundverlag‘, anonyme Autorenschaft mehrerer ‚erotischer und moralisch anstößiger Romane‘. Die zunehmende Verschärfung der öffentlichen Kritik – etwa seit 1907 – brachte es mit sich, daß die sachlich fundierten Argumente immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurden; die Heftigkeit der Anwürfe sagte bald mehr über Neid und Affekte der Kritiker als über das ‚Vorleben‘ des angegriffenen Autors aus. In dieser angespannten Situation strengte Karl May die ersten Prozesse gegen seine Beleidiger an, und von nun an trug er sich mit dem Gedanken an eine ‚Lebensbeichte‘; erste Skizzen stammen aus diesem Jahr. Aber erst 1909 reifte in ihm der Entschluß, in einer großangelegten Autobiographie seiner verwirrten Lesergemeinde den ‚wahren‘ Karl May vorzuführen. Anlaß bot ihm hierzu der in einem Wochenblatt erschienene Artikel ‚Hinter den Kulissen‘ von Rudolf Lebius, dem schärfsten und kompromißlosesten Gegner des ‚Scharlatans‘ Karl May. Die ungeheuerlichen Anschuldigungen gehen auf persönliche Recherchen des Journalisten in Mays Heimatort zurück, wobei gar zu leichtfertig und bedenkenlos jede Aussage ehemaliger Nachbarn und Bekannter für bare Münze genommen wurde. Demnach soll der gefeierte ‚Liebling der Jugend‘ nicht nur zahlreiche Diebstähle, Einbrüche und Betrügereien begangen, sondern sogar in den Wäldern zusammen mit desertierten Soldaten ein ‚ausschweifendes‘ Räuberleben geführt haben. Der Artikel wurde begierig von großen Teilen der deutschen Presse aufgegriffen, verwirrte und empörte die zahllosen Karl-May-Fans, lieferte den Gegnern neue Anhaltspunkte. Nun war es für den Angegriffenen an der Zeit, zu erklären: „Ich werde in meiner Selbstbiographie … mich nicht im geringsten schonen, sondern jedes Unrecht, dessen ich mir bewußt bin, ehrlich bekennen; denn ich will, wenn ich einst scheide, keine meiner Sünden mit hinübernehmen …“
    Das mit Spannung erwartete Werk, das ursprünglich ‚Am Marterpfahl und Pranger‘ heißen sollte – hierin zeigt sich Karl Mays tiefe Betroffenheit –, erschien Ende 1910 unter dem abgeklärteren Titel ‚Mein Leben und Streben‘. Jedoch ist das Buch nur in wenigen Exemplaren zur Auslieferung gekommen; die Gegner konnten sehr rasch ‚wegen beleidigender Äußerungen‘ eine einstweilige Verfügung erwirken. Erst 1916, vier Jahre nach Karl Mays Tod, wurde die Autobiographie, nun in gekürzter Fassung, für den Verkauf freigegeben.
    Das hier vorliegende Werk bietet den unveränderten Nachdruck der verbotenen Erstausgabe von 1910. Damit ist dem Leser Gelegenheit gegeben, unmittelbaren Einblick in das ‚Karl-May-Problem‘ zu gewinnen – in die Zerrissenheit eines Autors, dem das Leben höchste Triumphe und tiefste Verzweiflung zugleich beschert hat, begeisterte Anhänger und erbitterte Gegner, Erfolg in großem Ausmaß und Existenzkrisen nahe dem seelischen Zusammenbruch. Die Autobiographie zeigt, wie sehr Karl May um seine eigene Gefährdung gewußt hat: er selbst spricht von seiner ‚gespaltenen Seele‘ und unternimmt den Versuch einer schonungslosen Selbstanalyse. Zwar verzerren die persönlichen Ausfälle des Autors gegen seine Gegner stellenweise die wahren Sachverhalte, auch mag man zuweilen Einwände gegen Mays eigene philosophische Deutung der Abenteuer- und Reiseromane erheben – doch äußert sich hier eine Einseitigkeit, die gerade den besonderen Reiz einer Autobiographie ausmacht: der Mensch Karl May, in seiner Größe und seinen seelischen Verstrickungen, offenbart sich nirgendwo so unmittelbar und lebensnah wie in seinen ‚Selbstbekenntnissen‘. Hier ist eine
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