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294 - Der Keller

294 - Der Keller

Titel: 294 - Der Keller
Autoren: Manfred Weinland
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ertrage es nicht mehr.«
    »Aljescha, was redest du da? Es ist unser Kind! Wir waren so froh, als du in anderen Umständen warst. Wie kannst du jetzt -«
    »Es ist nicht mein Kind. Es fühlt sich falsch an. Nimm es und geh, und komm allein zurück!«
    Sie hat den Verstand verloren , dachte Paavel mit einem ziehenden Schmerz in der Brust. Das hilflose kleine Wesen in seinen Händen gluckste und blickte ihn völlig arglos an. »Was du von mir verlangst, ist… ist…« Er rang nach Worten.
    Ein Geräusch lenkte ihn ab. Als er sich umdrehte, sah er die Sieche Olga im Hausgang stehen. Wie lange sie schon hier war, wusste Paavel nicht, aber offenbar hatte sie alles mit angehört. »Endlich!«, rief sie und streckte die Arme aus. »Endlich werdet ihr vernünftig! Gebt es mir. Gebt mir Orguudoos Brut, ich kümmere mich darum!«
    Energisch kam sie auf Paavel zu.
    Aljescha sah ihr ausdruckslos entgegen. Im Gegensatz zu Paavel wirkte sie nicht verärgert über den unwillkommenen Besuch der dreisten Amme. In Paavel keimte der Verdacht, dass Olga schon vor seiner Heimkehr bei Aljescha gewesen sein und auf sie eingeredet haben könnte.
    »Ihr seid beide wahnsinnig!«, keuchte er. »Niemals überlasse ich euch mein Kind!«
    Obwohl er Jurgis im Arm hielt, stürmte er auf die Amme zu und drohte ihr mit der Faust. » Du bist die Missgeburt, alte Vettel! Verschwinde, oder ich vergesse mich!«
    Wimmernd drehte sich die Amme um und hinkte den Flur hinunter.
    Paavel wartete, bis sich die Haustür wieder geschlossen hatte, dann drehte er sich zu Aljescha um. »War sie etwa die ganze Zeit hier?«
    Sie wich seinem zornigen Blick aus. »Sie… meint es doch nur… gut.«
    »Sie will unser Kind umbringen «, keuchte er und hielt ihr den kleinen Jurgis - der weder Junge noch Mädchen war, aber ein Mensch, so viel verstand selbst Paavel, der ein einfacher Mann war - entgegen. »Gleich kommt sie mit dem Bürgermeister zurück, diese… diese…«
    »Nein. Sie hat es mir versprochen. Aber wir müssen vernünftig sein, hat sie gesagt. Wir müssen die Augen aufmachen und die Wahrheit erkennen…«
    Paavel fiel die Kinnlade nach unten. Er erkannte Aljescha nicht mehr wieder. Sie war zu ihrem eigenen charakterlichen Spiegelbild geworden - und damit zu einem Zerrbild jener Frau, die er über alles liebte. Die Sieche Olga hatte sie verhext.
    Kopfschüttelnd drehte Paavel Kolitz sich um und ging mit dem kleinen Jurgis ins Schlafzimmer. Er konnte Aljeschas Anblick für den Moment nicht mehr ertragen. Und dem Kind würde es auch guttun, nicht mehr den Streitigkeiten seiner Eltern ausgesetzt zu sein. Angezogen legte er sich hin und bettete Jurgis ganz nah an sein Gesicht. Der Kleine gluckste und maunzte, und seine winzigen Hände griffen nach Paavels Nase…
    Mit jeder Sekunde, die er allein mit Jurgis war, wurde es ihm unbegreiflicher, wie Aljescha sich verhielt, wie sie sich von den Hetztiraden der Amme und den Anfeindungen der Nachbarn so sehr beeinflussen lassen konnte, dass sie sogar bereit war, ihr eigenes Fleisch und Blut unter die Erde zu bringen - nur damit endlich wieder Ruhe und Frieden einkehrten.
    Was für eine Ruhe, was für ein Frieden sollte das sein? , dachte Paavel. Wie könnten wir mit dieser Schuld weiterleben?
    Er hielt seinem Weib zugute, dass sie nervlich am Ende und damit empfänglich für Einflüsterungen war. Aber er war und blieb auch wütend und enttäuscht ob ihres Verhaltens.
    Keine Mutter tötet ihr eigenes Kind! Und kein Vater lässt dies zu!
    Paavels Gedanken kreisten nur noch um dieses eine Thema. Erst als er irgendwann aufschreckte, wurde ihm bewusst, dass er wohl eingenickt sein musste. Sofort blickte er dorthin, wo er Jurgis abgelegt hatte - aus Sorge, jemand könnte seine Schwäche ausgenutzt haben.
    Aber das Kind lag immer noch neben ihm, und es schlief tief und fest, wie sein Atmen verriet.
    Paavels Erleichterung trieb ihn aus Bett. Leise stand er auf, und ebenso leise verließ er die Stube. Er hatte sich beruhigt und wollte in aller Ruhe auch mit Aljescha sprechen.
    Aber als er in die Küche kam, wo er sein Weib zuletzt gesehen hatte, erwartete ihn ein Schock.
    Aljescha saß immer noch - oder wieder - auf dem Stuhl. Ihre Arme baumelten rechts und links herab, der Kopf war nach vorne gekippt und das Kinn lag auf dem Rumpf auf. Unter dem Stuhl hatte sich eine Lache gebildet, in der ein Messer lag. Noch immer tropfte es aus beiden Handgelenken nach unten, aber das war nur ein winziger Rest dessen, was aus der Frau
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