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294 - Der Keller

294 - Der Keller

Titel: 294 - Der Keller
Autoren: Manfred Weinland
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sagte sie, ohne dass es wie eine Entschuldigung klang. »Ich bekomme nicht oft Besuch.«
    Er musterte sie und wartete darauf, dass der furchtbare Zorn aus ihm hervorbrach, den er die ganze Zeit gezügelt hatte.
    Aber er wartete vergeblich.
    Paavel war über sich selbst irritiert und sah sich um. »Was ist in den Gefäßen, die in den Regalen stehen?«
    »Erinnerungsstücke.«
    Es war dämmrig im Raum. Paavel kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um mehr vom Inhalt der Gläser erkennen zu können. Aber die Sieche Olga lenkte ihn ab. »Also, was willst du?«, fragte sie. »Seid ihr endlich zur Vernunft gekommen, was das Balg angeht? Ich habe euch meine Hilfe angeboten und stehe dazu.«
    »Und wie…«, er räusperte sich unbehaglich, »wie willst du das genau tun - uns helfen?«
    »Ich nehme euch die Drecksarbeit ab - das sagte ich deinem Weib doch.«
    Drecksarbeit! Der Mord an meinem Kind!
    Vor seinem inneren Auge tauchte Aljescha auf, wie sie tot auf dem Küchenstuhl saß. Er atmete schwerer.
    Aber die seltsamen Gefäße beschäftigten ihn noch immer. Wieder schweifte sein Blick von der verhärmten Alten hin zu den Gläsern. Umrisse schwimmender Dinge ließen sich darin erkennen.
    Paavel merkte kaum, wie er sich von der Amme ab wandte und zu einem der Regale schritt.
    »Halt!«, hörte er die Alte plärren. »Was willst du da? Das geht dich nichts an!«
    Fast wäre Paavel stehen geblieben. Aber seine Neugier setzte sich durch. Dann stand er vor einem der Gefäße - und konnte nicht glauben, was er darin sah.
    Ungeborene Föten…!
    Abrupt wirbelte er zu der Siechen Olga herum…
    ... und sah gerade noch den Knüppel auf sich niedersausen. Paavel versuchte auszuweichen, schaffte es aber nicht ganz. Statt den Kopf traf der Prügel das linke Schlüsselbein, mit einer Gewalt, dass er meinte, den Knochen brechen zu hören. Dann spülte Schmerz wie eine Welle über Paavel hinweg und raubte ihm das Bewusstsein.
    Als er seine Umgebung wieder wahrnahm, lag er am Boden. Aber es konnten nur ein paar Sekunden vergangen sein, denn Olga holte gerade zu einem weiteren Schlag aus, und diesmal schien sie darauf aus zu sein, ihm den Schädel zu spalten! Dass Paavel schon wieder bei sich war, bemerkte sie zu spät. Und so kam auch seine blitzschnelle Abwehrbewegung für sie völlig überraschend. Im Liegen holte er mit dem Bein aus und trat der Amme die Füße unter dem Körper weg.
    Mit einem erstickten Schrei stürzte die greise Frau neben Paavel zu Boden. Beim Aufprall rutschte ihr der Prügel aus der Hand und rollte, als wäre es eine Aufforderung, genau vor Paavels Brust.
    Der griff zu und benutzte ihn zuerst einmal, um sich daran aufzurichten. Der scharfe Schmerz in seiner linken Schulter war einem hässlichen Pochen gewichen. Vielleicht nur eine Prellung, kein Bruch - er hoffte es.
    Breitbeinig stellte er sich vor der Siechen Olga auf. »Du verfluchtes, hinterlistiges Weib!«
    Am Ende des Gangs fing Jurgis an zu kreischen. Er hat schon wieder Hunger , dachte Paavel. Und Aljescha kann ihm nichts mehr geben…
    Die Sieche Olga bettelte um Mitleid. »Lass mich leben, ich flehe dich an! Du wirst doch keine alte, hilflose Frau…«
    »Ich hatte eine junge, hilflose daheim«, fuhr Paavel ihr ins Wort. »Doch nachdem du weg warst, hat Aljescha sich die Pulsadern aufgeschlitzt - deinetwegen! Weil du dein Schandmaul nicht halten konntest! Weil du alle gegen uns aufgehetzt hast! Aber das wirst du nie wieder tun können!«
    »Tot?«, stammelte die Amme. »Aljescha ist… tot?«
    Paavel lachte verächtlich auf. »Ach? Tut es dir leid? Geht es dir nah? Eine schamlose Täuscherin bist du! Hier, nimm das!«
    Er ließ den Knüppel niederfahren. Aber er nahm etwas Kraft aus dem Schlag. Viel würde ihr dürrer Körper nicht aushalten, und er wollte ja, dass sie litt. »Sie konnte es nicht mehr ertragen, Mutter einer Missgeburt geschimpft zu werden!«, keuchte er.
    »Das… wollte ich nicht!«, keuchte die Amme. »Wenn ich gewusst hätte…«
    Er trat zu. Ihre Worte erstarben in einem Röcheln. Aus ihrem Mund quoll ein Blutfaden. Ihre Bewegungen erlahmten.
    Paavel war enttäuscht. Das ging ihm zu schnell. Das war zu wenig für das, was seine Frau hatte erleiden müssen. Er beugte sich über die Amme und untersuchte sie. Sie atmete nicht mehr, war tatsächlich tot.
    Eine böse alte Frau war gestorben, kein Vergleich zu der Sonne, die für immer am Horizont verschwunden war: Aljescha…
    Plötzlich bereute Paavel, wozu er sich hatte
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