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294 - Der Keller

294 - Der Keller

Titel: 294 - Der Keller
Autoren: Manfred Weinland
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sich nicht mit der Milch begnügen, sondern auch Aljeschas Lebenskraft an sich reißen.
    Vielleicht haben sie doch recht und er ist Orguudoos Brut…
    Manchmal, wie jetzt, kamen Paavel Zweifel, ob es klug war, sich dem Druck der Gemeinde dauerhaft zu widersetzen. Die Nachbarn saßen am längeren Hebel. Das zeigte die jüngste Tat.
    »Was ist das?«, hauchte Aljescha und ordnete mechanisch den Deckensaum, aus dem das kleine Köpfchen herauslugte. Dann blickte sie zum Tisch, wo Paavel den Sack abgelegt hatte. Ein Leinensack, dessen Stoff an etlichen Stellen dunkelrot gefärbt war.
    »Die Köpfe unserer Ziegen!«
    »Die…«
    »Als ich hinkam, um sie zu melken, lagen sie enthauptet am Zaun. Die Köpfe wurden ihnen abgehackt - das schließt aus, dass ein wildes Tier sie gerissen hat.« Er hielt kurz inne, um die Wut, die in ihm kochte, unter Kontrolle zu bringen, aber das gelang ihm nicht. »Ich habe die ganze Weide abgesucht, aber die Schädel waren unauffindbar. Bis ich mich auf den Rückweg machte. Kurz vor den ersten Häusern waren mehrere Pfähle frisch in den Boden gerammt. Auf dem Hinweg hatten sie dort noch nicht gestanden. So viele Pfähle, wie Ziegenköpfe auf sie aufgepflanzt waren! Willst du sie sehen? Willst du sehen, was sie mit unseren guten Tieren gemacht haben?«
    Aljescha verzog angewidert den Mund. »Mach das weg!«, verlangte sie. »Raus damit! Wie kannst du mir das antun, blutige Tierschädel auf den Tisch zu legen!«
    »Es waren unsere Ziegen !«
    »Und der Rest? Das gute Fleisch? Hast du es etwa auf der Weide liegen lassen? Es würde uns eine Weile ernähren. Aber nur, wenn du es holst , bevor andere es stehlen!«
    Er sah ungläubig zu ihr. »Verstehst du überhaupt, was ich gerade gesagt habe? Man hat sie massakriert - nur um uns zu schaden. Sie hören nicht auf damit - im Gegenteil, es wird von Tag zu Tag schlimmer! Das hier setzt ihrer Bosheit die Krone auf!«
    »Das Fleisch«, wiederholte Aljescha. »Kümmere dich um das Fleisch.«
    Schon seit Tagen benahm sie sich seltsam. Auffällig. Nachts, wenn sie glaubte, dass er schlief, hörte er sie weinen. Er wusste, warum. Sie gab sich die Schuld daran, wie ihr Kind geworden war. Anfangs hatte er sie noch in den Arm genommen und getröstet, sie davon zu überzeugen versucht, dass niemand »schuld« an Jurgis' Art war. Nur die Natur selbst, die ihnen einen grausamen Streich gespielt hatte.
    Aber Aljescha ließ sich nicht beruhigen. Von Tag zu Tag fiel sie in tiefere Depression, und oft hatte Paavel das Gefühl, dass er sie gar nicht mehr erreichte - wie in diesem Moment wieder.
    Sie verstand gar nicht, was er von ihr wollte. Ihre Gedanken waren nie zur gleichen Zeit mit der exakt gleichen Sache beschäftigt. Während er vom Niedermetzeln ihrer kleinen Herde und von der Niedertracht derer sprach, die dies getan hatten, dachte sie nur an das Fleisch .
    Das mochte wichtig sein, natürlich, Paavel räumte es ein, aber das Grundproblem war die Feindseligkeit der Nachbarschaft. Daran würde sich nichts ändern, solange ihr Aberglaube ihnen eintrichterte, dass im Hause Kolitz ein Monstrum aufwuchs.
    Von alldem bekam der Junge noch nichts mit, aber er würde größer werden, und dann würde er es mitbekommen. Die Leute waren grausam. Und sie würden es Jurgis auf Schritt und Tritt spüren lassen, was er in ihren Augen war.
    Manchmal spürte er einen solchen Hass auf diese Leute in sich, dass er sie hätte umbringen können. Er war froh, dass seine Eltern das alles nicht mehr erleben mussten. Mit einer solchen Schande wären sie nicht fertig geworden.
    »Aljescha!«
    Sie schaute wie mit blinden Augen auf den Säugling hinab. Obwohl ihr Blick auf ihm zu ruhen schien, erweckte sie den Eindruck, als sähe sie durch ihn hindurch.
    »Aljescha, sieh mich an.«
    Leise begann sie ein Kinderlied anzustimmen. Ihre Stimme klang, als wäre sie nicht von dieser Welt.
    Paavel erzitterte. Er spürte, wie ihm alles über den Kopf wuchs. Um sie wachzurütteln, stürzte er vor und entriss Aljescha das Kind, dessen Lippen sich mit einem schmatzenden Ton von ihrer Brust lösten.
    Da endlich schien seine Frau ihren tranceartigen Zustand abzuschütteln. »Paavel…«
    Er blickte sie innerlich aufgewühlt an.
    »Paavel - geh mit ihm fort.«
    Er hatte das Gefühl, einen Eiszapfen ins Herz gestoßen zu bekommen. Diese Reaktion hatte er nicht gewollt und auch nie erwartet. Es war klar, von wem Aljescha sprach.
    »Fort?«, echote er wie betäubt.
    »Bring es… weg. Bitte. Ich… ich
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