Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
294 - Der Keller

294 - Der Keller

Titel: 294 - Der Keller
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
Rückenkralle schob. Ein unangenehm kühler Wind blies durch die zerbrochenen Scheiben in die Gondel. »Wir müssen eh landen, um die Fenster in Ordnung zu bringen und«, er blickte auf die Schweinerei auf den Dielen, »die Überreste zu beseitigen. Hier stinkt es wie in einem Schachthaus!«
    Sie alle wussten, dass er recht hatte. Bis zum »Nabel der Welt« - eine prosaische Bezeichnung für den Ort in Ostdeutschland, wo die ehemals Versteinerten eine mysteriöse Halle erbaut hatten - war es noch weit.
    Wieder musste Matt daran denken, wie leichtfertig er und die anderen von dort aufgebrochen waren, um Agartha zu finden. Mittlerweile waren sie sich fast sicher, dass der Exekutor Alastar Einfluss auf sie genommen hatte, vielleicht durch Hypnose, vielleicht durch eins seiner technischen Geräte. Und natürlich war auch seine Lüge, im Himalaja wären weitere Versteinerte aufgetaucht, eine Triebfeder gewesen, um sie leichter zu überzeugen .
    Nun, Alastar war tot, sein Einfluss erloschen, und auch Aruulas Lauschsinn, den er unterdrückt hatte, war zurückgekehrt. Sein Plan, Agartha mit ihrer Hilfe zu erobern und sich zum »König der Welt« zu krönen, war gescheitert. Wudan sei Dank!
    Inzwischen überquerten sie die Stadt bereits, die sie vor dem Angriff erspäht hatten. Matt zeigte nach unten. »Wir brauchen neue Scheiben. Vielleicht entdecken wir ein Viertel, das noch relativ gut erhalten ist. Bislang sehe ich allerdings nur Ruinen…«
    »Stimmen wir ab«, schlug Aruula vor. »Wer ist dafür, es zu riskieren?« Sie stellte die Frage nicht ohne Grund. Auf der Herreise wäre ihnen fast jede Landung zum Verhängnis geworden - als hätten sie das Pech gepachtet.
    Rulfan zuckte mit den Achseln. »Wir haben nicht genug Wasser an Bord, um die Schlachtabfälle loszuwerden. Ich bin also dafür. Was ist mir dir, Xij?«
    Xij Hamlet, die bis jetzt schweigend dagestanden und hinausgestarrt hatte, drehte sich halb um. Ihre Lippen bebten. »Ich… ich muss hinunter«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Ich war schon einmal hier. Es ist lange her, aber… o mein Gott, es ist alles wieder da. Hier bin ich schon einmal gestorben!«
    ***
    Vergangenheit, 2449
    Paavel stürmte wutschnaubend ins Haus, wo Aljescha zusammengesunken auf einem hochlehnigen Stuhl am Küchentisch hockte. In der Armbeuge hielt sie den befremdlichen Säugling, den Paavel dennoch liebte. Aljescha war beim Stillen. Ihre Brüste waren prall und groß. Sie hatte nie besser ausgesehen, und das sagte ihr Paavel auch jeden Tag. Doch weder damit noch mit irgendeiner anderen Äußerung oder Tat vermochte er sie aufzuheitern. Seit der Geburt ihres Kindes lag ein Schatten über der einst lebensfrohen jungen Frau, und nichts und niemand schien ihn je wieder vertreiben zu können.
    Paavel hatte stets versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie lebten nun einmal in Alytus und mussten sich mit den Gegebenheiten arrangieren. Seit Wochen drängte Aljescha darauf, das Haus zu verkaufen, die Stadt zu verlassen und irgendwo anders in Litaaun sesshaft zu werden, wo niemand sie kannte.
    Paavel hatte dies kategorisch abgelehnt. Er war - wie Aljescha auch - in der Gemeinde geboren. Hier kannte er jede Straße, jedes Haus und alle Bewohner. Anderswo in der Fremde noch einmal neu anzufangen, konnte er sich nicht vorstellen. Seine Wurzeln waren hier.
    »Es wird besser«, hatte er seiner Frau versichert. »Wir brauchen nur etwas Geduld. Mit der Zeit werden sie ihr Interesse an ihm verlieren.«
    Für ihn war es eine ausgemachte Sache, dass ihr Kind ein Junge war, auch wenn ihm das absonderliche Schicksal beschieden war, beide Geschlechtsteile zu besitzen. Die eines Mannes und die einer Frau.
    Das war es gewesen, was die Sieche Olga in eine fast tobsuchtartige Aufregung versetzt und sogar bewogen hatte, den Bürgermeister und alle Nachbarn gegen sie aufzuhetzen.
    Inzwischen war es schlimmer denn je.
    Und den bisherigen Höhepunkt brachte Paavel an diesem Abend von der Weide am Stadtrand mit nach Hause.
    Mit aschfahlem Gesicht wuchtete er den Sack auf den Tisch vor Aljescha. Es polterte dumpf, und für einen Moment schien sie sich aus ihrer ganz eigenen Wirklichkeit wieder in die Realität herüber zu begeben.
    Es zerriss ihm das Herz, sie in dieser Verfassung zu sehen. Je mehr ihr Kind an Gewicht zulegte und wuchs, desto dünner schien Aljescha zu werden. Es war, als würde Jurgis - so hatten sie ihn genannt, auch wenn er ungetauft war und es vielleicht für immer bleiben würde -,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher