Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
294 - Der Keller

294 - Der Keller

Titel: 294 - Der Keller
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
an. Er hatte Mühe, Schildkrötes Ausführungen zu folgen.
    »Eher so wie ich «, sagte das schlaue Tier.
    Jurgis wollte wissen, was Schildkröte damit meinte. Aber der ließ sich für alles Zeit. Er gab nie sehr viel an einem Tag preis - als wollte er sicherstellen, dass Jurgis' Interesse an ihm auch nicht erlahmte.
    Tags darauf warf er Jurgis dann den nächsten Brocken hin. »Sie glauben, sie hätten einen freien Willen und würden all dies hier, all die Versuche und Kreuzungen, aus eigenem Antrieb tun. Diese Narren! Da ist etwas, das hinter ihnen steht, ohne dass sie es merken. Und dieses Etwas mag sie nicht, es bedient sich ihrer nur. Es mag auch mich nicht, weil…«
    »Weil?«
    Wieder einen Tag später: »Weil ich mich nicht von ihm unterdrücken lasse!«
    Intuitiv begriff Jurgis, dass Schildkröte damit den Gesprächsfaden vom Vortag wieder aufnahm und fortsetzte. »Von dem Etwas , das die Oberen kontrolliert?«
    Schildkröte bejahte. Dann sagte er etwas Überraschendes: »Wenn du willst, helfe ich dir.«
    Jurgis überlegte, ob sich das eingesperrte Geschöpf einen Scherz mit ihm erlaubte. Es war schließlich hinter Gittern - und da wollte es ihm seine Hilfe anbieten?
    »Du kennst deine eigene Stärke nicht - dabei könnte ich dir helfen. In dir schlummert so viel ungenutzte Kraft, anders als bei allen sonst in meiner Nähe, die ich geschaut habe.«
    Jurgis starrte Schildkröte erschreckt an. »Du kannst in meinen Gedanken lesen? Niemand vermag das!«
    »Ich kann mehr als nur in dein oberflächliches Denken schauen. Ich blicke tiefer. Und ich sehe dort so viel, was sie verschüttet haben…«
    Wieder redete Schildkröte von ominösen Mächtigen, die bislang für Jurgis nicht offen in Erscheinung getreten waren, sodass er außer Schildkrötes Andeutungen keinen wirklichen Beleg für ihre Existenz hatte.
    Aber wenn er genau überlegte, war doch vieles eigenartig und mysteriös, was ihn persönlich betraf. Er erinnerte sich beispielsweise nicht, wann er hierher gekommen war. Oder wie sein Leben früher ausgesehen hatte.
    »In Ordnung«, sagte er nach einem Tag Bedenkzeit, als er wieder vor Schildkrötes Käfig stand. »Hilf mir. Hilf mir, mich zu erinnern. Da ist so viel Leere. Ich weiß nichts über meine Vergangenheit. Es ist, als würde ich auf eine weiße Wand blicken.«
    »Sagt dir der Name Jelena etwas?«
    Jurgis schüttelte den Kopf.
    »Und Aiste?«
    Auch das musste er verneinen.
    Schildkröte nickte bedeutungsschwanger. »Nun denn, das werde ich ändern.«
    »Was muss ich tun?«
    »Du? Gar nichts. Ich tauche jetzt mit meinem Geist in deinen ein - wegen dieser Fähigkeit werde ich hier gefangen gehalten. Ich bin nicht das geworden, was sie erschaffen wollten. Entweder sie töten mich irgendwann, oder sie experimentieren erneut an mir herum, bis ich vielleicht doch noch so werde, wie sie es sich wünschen.«
    »Niemand wird dich töten!«
    Schildkröte lachte bitter auf. Dann machte er sich an sein aberwitziges Werk.
    ***
    Der Vorhang des Vergessens fiel.
    Von einem Atemzug zum nächsten erinnerte sich Jurgis wieder an alles.
    An Jelena, an die Jahre am See, den Tod der geliebten Gefährtin und die Entführung seiner kleinen Tochter, seine Suche nach Tah Ran und den Geheimen Oberen, die, wie Schildkröte behauptete, auch nur Diener einer verborgenen Macht waren, in deren Auftrag sie handelten.
    »Von Tah Ran aus ziehen sie in alle Himmelsrichtungen, um vielversprechende Individuen, ganz gleich ob Mensch oder Tier, in ihre Gewalt zu bringen und in die Unterwelt Tah Rans zu verschleppen. Manchmal wenden sie rohe Gewalt an, ein anderes Mal locken sie mit wertvollen Gütern - alles aber im Namen der grausigen Experimente, die sie mit ihrer Beute hier unten ausführen.«
    Dies und mehr erfuhr Jurgis, nachdem er Schildkröte aus seinem Gefängnis befreit hatte.
    »Ich will Rache!«, ließ Jurgis seinen tierhaften Verbündeten wissen. »Und wenn irgend möglich, will ich Aiste zurück - falls sie noch lebt. Hilfst du mir?«
    »Ich hatte mich längst mit meinem Tod abgefunden - ja, ich helfe dir. Deine Rache soll auch meine sein!«
    »Wir müssen nicht sterben - aber sie müssen es! Die Oberen werden für alles bezahlen, was sie mir und der Welt antaten!«
    »Du glaubst an ein Entkommen, sogar an einen Sieg über sie?« Schildkröte schüttelte traurig den Kopf. »Das wird uns nicht gelingen. Es sind zu viele. Wir haben keine Chance, gegen sie alle zu bestehen. Nein, mein Freund, wir werden hier unten in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher