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282 - Der Schein trügt

282 - Der Schein trügt

Titel: 282 - Der Schein trügt
Autoren: Christian Schwarz
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die Aussicht und das sanfte Summen der Motoren gleichermaßen. Es war schön hier oben. Ein Hauch von Abenteuer wehte ihm ins Gesicht. Ein Gefühl, das er lange vermisst hatte…
    ***
    Hafenassistent Heerb stupste den leicht Schnarchenden vorsichtig an. »Aufwachen, Kaloi, die Mittagsstunde naht.«
    Der uniformierte Mann mit den Schulterabzeichen eines Obergefreiten schreckte mit einem lauten Grunzer aus seinem Schlaf hoch. Wie üblich brauchte er einen Moment, um sich wieder in der Wirklichkeit zurechtzufinden. »Wasis los?«, nuschelte er, sah sich um, lächelte selig und nahm dann umständlich die Beine vom Schreibtisch.
    Heerb nahm Haltung an, schlug die Hacken zusammen und salutierte. »Hatte den Auftrag, Sie zur Mittagszeit aus der Meditation zu holen, Kaloi. Tägliche Besprechung mit Lordkanzler Gundar steht an.«
    »Ah ja, die Besprechung. Natürlich. Danke, Laandser.« Hafenkommandant Andree Sampson, ein älterer, hochgewachsener schlanker Mann mit gepflegtem Vollbart und braunem Haarkranz um die Glatze grinste breit. »Ich darf Gundar nicht warten lassen, das mag er nicht, sonst wird er immer ganz ungehalten, auch wenn wir verwandt sind.«
    »Natürlich, Kaloi.«
    Sampson war stolz darauf, Kaloi zu sein. Die Geschichte der Kanalinsel hatte ihn schon immer interessiert, vor allem der Zeitraum, als die tapfere deutsche Weermacht Türme und Zäune bauen musste, um Guunsay, das Herz des Dritten oder Vierten Reiches - so genau wusste das heute niemand mehr - gegen die anstürmenden Horden der Finsternis aus Britana und Fraace zu bewahren. Die Verteidigung war vom Führerbunker aus koordiniert worden, der sich irgendwo unter Sainpeert oder vielleicht auch in Cornock an den Kais befunden haben musste.
    Seit Sampson die Uniform in den Ruinen Cornocks gefunden hatte, tendierte er, im Gegensatz zum Retrologen Robart, mit dem er immer wieder über die alten Zeiten diskutierte, eher zu Cornock.
    Sampson setzte den Stahlhelm mit dem Loch im Stirnbereich auf, den ihm Robart als Dank für einen kleinen Gefallen geschenkt hatte. Er schaute durchs Fenster seines im ersten Stock liegenden Büros auf den malerisch im Sonnenschein liegenden Hafen von Sainpeert. »Ist ein Schiff angekommen, Laandser, während ich mir in der Meditation neue Ideen für verbesserte Arbeitsabläufe geholt habe?«
    »Nein, Kaloi, kein Schiff.«
    Sampson rückte die Koppel zurecht. Er seufzte. »Natürlich, kein Schiff. Was frage ich überhaupt? Hier kommen doch so gut wie nie Schiffe an. Also muss ich die verbesserten Arbeitsabläufe auch nicht umsetzen. Nicht wahr, Laandser?«
    »Natürlich nicht, Kaloi. Wäre sinnlos, Kaloi.«
    »Eben.« Sampson grinste erneut und schnitt sich mit einer kleinen Schere widerspenstige Härchen aus dem Bart. »Das muss sein. Lordkanzler Gundar mag es nicht, wenn seine Kommandanten ungepflegt zu Besprechungen erscheinen, doch das wissen Sie ja längst, Laandser. Dann entlasse ich Sie jetzt mal in die Mittagspause. Wie immer sehen wir uns in zwei Stunden wieder. Sollte Ihnen etwas dazwischen kommen, darf es auch ruhig etwas mehr sein. Ich habe die Lage hier jederzeit im Griff.«
    »Natürlich, Kaloi. In zwei Stunden oder etwas länger, Kaloi.«
    Heerb verschwand. Und auch Andree Sampson verließ die Hafenkommandantur - ein ehemaliges zweistöckiges Wohnhaus am Hang mit grüner Fassade in einer ruhigen Nebenstraße -, ohne die Tür abzuschließen. Hafengebühren lagerten keine in der Kasse, denn seit Wochen war kein Schiff mehr hier eingelaufen. Es gab also nichts, was sich zu stehlen lohnte.
    Vor dem Büro streckte sich der Hafenkommandant erst einmal ausgiebig, um die Meditation aus den Gliedern zu bekommen. Dabei gähnte er mit weit aufgerissenem Mund und kratzte sich ungeniert im Schritt.
    Das Leben war schön, seit er vor drei Jahresumläufen den plötzlich verschwundenen Wolter Wallis als Hafenkommandant beerbt hatte. Natürlich hatte er umgehend die Arbeitsabläufe und Zuständigkeiten optimiert, denn seiner Ansicht nach hatte sich Wallis viel zu viel selbst aufgebürdet. Mitarbeiter waren dann gut und motiviert, wenn man ihnen die komplette Verantwortung für ihre Aufgabengebiete gab. Das hatte sich bestens bewährt, denn diese überaus schlaue Strategie kam nicht nur ihnen, sondern auch ihm selbst zugute. So musste er sich nicht mehr um den Kleinkram kümmern, der ohnehin nur vom wirklich Wichtigen ablenkte.
    Von Liisbet zum Beispiel, dieser wunderbaren Woom mit den weit ausladenden Hüften und dem mächtigen
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