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282 - Der Schein trügt

282 - Der Schein trügt

Titel: 282 - Der Schein trügt
Autoren: Christian Schwarz
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abge…«
    In diesem Moment taumelte Sir Leonard um die Ecke eines Hauses. »Die haben mir den Finger abgehackt!«, schrie er und hob einen Fingerstumpf, den er gerade noch im Mund gehabt hatte, in die Luft. Wahrscheinlich dämmerte ihm gerade die Erkenntnis, dass sich die Blutung dadurch nicht stillen ließ. Fahka, der Leonard bis aufs Blut hasste, eilte voller Sorge zu ihm, um zu helfen.
    Zu helfen? , durchfuhr ihn ein Gedanke, der sich schon im nächsten Moment in Nichts auflöste. Diesem Piig… meinem Bruder…
    Natürlich war Leonard nicht sein leiblicher Bruder - aber mit einem Male spürte Fahka, dass ihn etwas mit dem zuvor noch Verhassten verband, das ihn alle Wut vergessen ließ.
    Bevor er die Merkwürdigkeit seiner Gedankengänge begreifen konnte, ertönte ein weiterer klagender Schrei. Sir Ibrahim Fahka stoppte abrupt. Er und Eve Neuf-Deville blickten sich an. »Das kam von der Klippe«, stieß Fahka hervor. »Vielleicht sind die Schatten noch da. Komm!«
    Sie keuchten den Hang hoch. Andere Menschen, darunter Sarah Kucholsky, die von irgendwoher auftauchte, schlossen sich ihnen an. Währenddessen wurde das Schreien zu einem Wimmern.
    Auf der Klippenkante verharrte die Gruppe.
    »O mein Gott«, flüsterte Sarah Kucholsky. »Was ist denn das?«
    »Keine Ahnung«, gab Fahka zurück und spürte, wie eine eisige Hand nach ihm griff. »Lass uns runtergehen und es uns genauer betrachten.«
    Eine schmale steile Treppe führte hinunter zum Strand. Kurze Zeit später standen sie neben der Frau, die Albeeta hieß, wenn sich Fahka recht entsann. Auf den Knien kauerte sie neben einer in vier Teile zerbrochenen steinernen Statue. Der rechte Arm war an der Schulter abgebrochen und lag ein Stück entfernt vom Rumpf, ebenso der rechte Fuß. Zudem war der Rumpf an der Hüfte durchgebrochen, so glatt und sauber, als habe man ihn zersägt. Zudem war die Figur mit Hemd und Hose bekleidet. Das eigentlich Unfassbare aber waren die verzerrten, unglaublich lebendig modellierten Gesichtszüge, die sie alle kannten.
    »Leo… Das ist eine Statue von Leo«, murmelte Fahka mit zitternder Stimme.
    Albeeta wimmerte noch immer, wiegte den Oberkörper hin und her und streichelte die Steinfigur unablässig.
    »Eine Statue? Wie soll die plötzlich herkommen?«, fragte Sarah heiser und schluckte ein paarmal. »Wir haben keinen Bildhauer im Dorf, niemanden, der so ein Kunstwerk schaffen könnte. Und seht euch die Körperhaltung an - als wollte die Figur etwas abwehren! Einen der Schatten vielleicht…?«
    Fahka lief es kalt den Rücken herunter. »Du meinst… das ist Leo, nicht nur eine Steinfigur von ihm?« Er sah zu Albeeta. Sie musste ebenfalls zu diesem Schluss gekommen sein; einer Statue würde sie kaum nachweinen.
    Sarah Kucholsky nickte zögernd. »Die Schatten müssen ihn versteinert haben«, flüsterte sie. »Und vielleicht nicht nur ihn…«
    Zwei weitere Frauen ließen sich neben Albeeta nieder, nahmen sie in den Arm und trösteten sie, während der kleine Tross wieder ins Dorf zurückging. Die Bedrückung, die über den Menschen lag, war förmlich mit Händen greifbar.
    Plötzlich blieb Sir Ibrahim Fahka abrupt stehen. »Breedy!«, stieß er hervor.
    Das Nosfera-Halbblut kauerte bei dem Prime, der sich zu Boden gesetzt hatte. Ihr Mund war blutverschmiert. Sie hatte aus seinem Fingerstumpf getrunken!
    Fahka schauderte. Und seltsam: Obwohl er Sir Leonard gegenüber mit einem Mal alle Vorbehalte verloren hatte, gelang ihm dies bei Breedy nicht. Sie war nach Gabriel sein Feindbild Nummer zwei gewesen - und war es noch immer. Sie ist kein Mensch , wisperte es in seinen Gedanken. Sie ist ein Monster!
    Als die Halbnosfera die Gruppe sah, erhob sie sich und fauchte ihnen entgegen wie ein wildes Tier.
    »Wo ist Victoria?«, rief Sarah Kucholsky. »Sie wollte dich beim Turm treffen, um dir einzubläuen, dass du von hier verschwinden sollst!« Ihre Stimme klang aggressiv; auch sie schien Breedy nicht plötzlich ins Herz geschlossen zu haben. »Was hast du mit ihr gemacht?«
    »Gar nichts habe ich mit ihr gemacht!«, gab Breedy zurück und bleckte die blutverschmierten Zähne. »Weiß einer von euch, was passiert ist? Ich bin am Eingang zum Turm zu mir gekommen, mit verwelkten Blumenketten behangen. Was bei Orguudoo ist hier los?«
    Sie wusste also genauso viel oder wenig wie Fahka und die anderen. Seine letzten Erinnerungen waren die an das seltsame, altertümliche Geisterschiff, das in die Bucht eingefahren war, und die unheimlichen
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