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282 - Der Schein trügt

282 - Der Schein trügt

Titel: 282 - Der Schein trügt
Autoren: Christian Schwarz
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verpasste der geschundenen Frau einen Faustschlag ans Kinn, der sie haltlos zusammensinken ließ.
    Rulfan setzte über ihren bewusstlosen Körper hinweg und stieß die Holztür auf. Der Wächter, der davor gewartet hatte, war durch den Beschuss abgelenkt. Er reagierte zu spät. Rulfans Faust sauste heran und krachte in sein Gesicht. Als er taumelte, brachte ihn ein Kniestoß von unten gegen das Kinn endgültig zu Fall. Rulfan schnappte sich das Sturmgewehr und hastete die Treppe hinunter, die zu den Schleusenanlagen führte.
    Nachdem er zwei Türen passiert hatte, ertönte eine gewaltige Explosion über ihm. Im selben Moment wackelte alles um ihn her. Mörtelbrocken wurden aus den Wänden gesprengt und fielen herab. Ein paar trafen Rulfan, der gegen eine Wand getaumelt war, und ließen ihn schmerzhaft aufstöhnen. Überall entstanden Risse, das elektrische Licht flackerte hektisch, ging aber nicht aus.
    Volltreffer im Leuchtturm! Mit Schrecken dachte Rulfan an Breedy und den Wächter. Das konnten beide unmöglich überlebt haben. Als er sich wieder berappelt hatte, legte er die letzten Meter zurück. Mit schussbereitem Gewehr stürmte er ins Schleusenhaus.
    Da war niemand mehr. Außer einer Leiche. Und einem völlig verstörten Hafenkommandanten, der wie ein Häuflein Elend in einer Ecke saß, vor sich hin starrte und zitterte. »Los, Mann, hoch! Lassen Sie den Zaun ab, sofort!«, brüllte Rulfan ihn an.
    Doch er erntete nicht mehr als einen Blick aus glasigen, wässrigen Augen. Sampson war nicht mehr bei sich.
    »Verd…« Rulfan biss sich auf die Lippen und sah sich um. Zuerst nahm er seine Waffen wahr. Schwert und Driller lagen unbeachtet neben der Konsole. Was für ein Glück! Er nahm sie an sich. Das große Bedienpult war mit Knöpfen und Hebeln übersät, überall blinkten Lichter. Er kannte sich nicht aus. Was sollte er tun?
    Wudan, hilf… Im nächsten Moment schlug er sich gegen die Stirn, Danke, Wudan, das ging ja schneller als erhofft…
    Manchmal war man wie vernagelt und dachte nicht an das Naheliegende. Eve Neuf-Deville hatte den Zaun schon einmal absenken lassen; sie musste wissen, wie es funktionierte!
    Rulfan rannte zu dem Raum, in dem sie und der Mann aus dem Dorf gefangen waren, und ließ beide frei. Während der Inselbewohner sofort panisch nach oben flüchtete, blieb Eve vor ihm stehen. »Wir haben Krieg da oben, nicht wahr?«, fragte sie.
    Rulfan nickte. »Mein Vater wird die ganze Stadt zusammenschießen, wenn wir nicht sofort den verdammten Stahlzaun senken. Du weißt doch, wie das geht, oder?«
    Wortlos und mit raschen Schritten eilte die Psychologin zum Bedienpult, orientierte sich kurz, schien zu überlegen und drückte dann entschlossen auf einen grünen Knopf.
    Schwere Dieselmotoren liefen an. Mechanische Teile setzten sich in Bewegung. Ein Knirschen war trotz des ohrenbetäubenden Lärms von draußen zu hören. Durch eine Öffnung schaute Rulfan hinaus auf das Stahlgitter, an das sich noch immer die feuernde EIBREX drückte. Es begann sich langsam zu senken!
    Danke, ihr Götter, danke…
    Einige Augenblicke später stellte die Fregatte das Feuer ein. Auch die Hafengeschütze antworteten nicht mehr. Rulfan atmete tief durch. »Komm, Eve, wir…«, setzte er an - und verstummte wieder, als er bemerkte, dass Eve verschwunden war. Sie musste unbemerkt nach oben gelaufen sein. Warum zum Teufel hat sie nicht auf mich gewartet?
    Rulfan lief ihr nach und fand sie oben auf dem Kai, inmitten der Trümmerberge, die einst den Leuchtturm gebildet hatten. Ein gespenstisches, unwirkliches Leuchten lag über dem Hafen und der Stadt. Überall brannte es.
    »Eve!«, brüllte der Albino aus zehn Metern Entfernung und winkte ihr, als sie sich umwandte. »Komm her! Wir müssen weg von hier!«
    Doch Eve reagierte nicht. Sie stand an der Kaimauer und starrte nun wieder auf die EIBREX, die sich soeben über den abgesenkten Stahlzaun aus dem Hafen in Richtung Meer schob. Hoffte sie, dass ein Beiboot abgefiert wurde, um sie zu holen?
    »Wartet auf mich!«, schrie die Psychologin plötzlich schrill - und sprang mit einem mächtigen Satz ins Hafenbecken! Dort tauchte sie wieder auf, prustete und begann mit kräftigen Armzügen hinter der Fregatte her zu kraulen. Ein geradezu lächerliches Unterfangen!
    Soldaten aus Gundars regulärer Truppe erschienen auf dem Kai. Rulfan, der einen Moment die Absicht gehabt hatte, hinter Eve her zu springen, um sie zu retten, musste nun seine eigene Haut in Sicherheit bringen.
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