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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition)
Autoren: David Safier
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hätte vermuten können. Ich war immer noch nicht in der Lage zu reagieren. Vor lauter Angst und Überraschung lag ich wie eine Schaufensterpuppe in den Armen des Jungen. Um das zu überspielen, intensivierte der die Scharade noch: Mit einem Mal küsste er mich.
    Er küsste mich!
    Seine rauen, leicht aufgesprungenen Lippen drückten sich auf meine, und seine Zunge drang in meinen Mund, ganz selbstverständlich, als ob sie dies schon tausend Mal getan hätte. Mir war klar: Ich musste seinen Kuss erwidern. Das war meine letzte Chance. Wenn ich es nicht tat, war endgültig alles aus. Für uns beide.
    Diese Gewissheit, garantiert zu sterben, wenn ich jetzt nicht endlich reagierte, riss mich aus meiner Verkrampfung. So küsste ich genauso leidenschaftlich zurück.
    Ob mir der Kuss gefiel, konnte ich in diesem Moment gar nicht sagen.
    Als der Junge wieder von mir abließ, spielte ich die Glückselige.
    «Danke für die Rose, Stefan», dachte ich mir schnell einen Namen für ihn aus.
    «Ich danke dir, dass es dich gibt, Lenka», gab er mir ebenfalls einen Namen und war gewiss zutiefst erleichtert, dass ich auf sein Spiel einging.
    Jetzt erst wagte ich, zu den Hyänen zu sehen. Die waren von unserer Vorstellung schwer beeindruckt. Der junge Schmalzownik war sogar sichtlich neidisch, sicherlich hätte er auch gerne mal ein polnisches Mädchen so geküsst.
    «Belästigen dich diese Kerle etwa?», fragte Stefan, der so tat, als ob er sie jetzt erst wahrnähme.
    «Sie halten mich für eine Jüdin.»
    Stefan sah die Männer an, als seien sie völlig verrückt geworden, auf so einen Gedanken zu kommen. Aber er lachte nicht wie ich bei meinem ersten Versuch, sie loszuwerden. Sein Gesicht verzog sich zu einer zornigen Grimasse: «Wollt ihr meine Freundin beleidigen?»
    Er gab jetzt den stolzen Polen, dessen Mädchen in seinem Ehrgefühl verletzt wurde. Jüdin? So etwas durfte man zu der Freundin eines aufrechten Polen doch nicht zu sagen wagen!
    «Nein … nein», stammelte der Anführer. Er trat einen Schritt zurück. Seine Leute taten es ihm nach.
    «Doch, das wollten sie», widersprach ich in einem wütenden Tonfall. Auch wenn ich die Rolle als gekränkte Polin nur spielte, war mein Zorn auf diese Hyänen doch echt.
    Stefan ballte die Faust und hob sie den Schmalzowniks entgegen. Die wichen noch etwas mehr zurück. Gewiss, sie hätten ihn einfach verprügeln können, drei gegen einen, das wäre kein Problem gewesen. Aber sie vergriffen sich nicht an Polen, das hätte ihnen nur Ärger mit der Polizei eingebracht. Sie schämten sich sogar etwas, mit ihrem Verdacht gegen mich so danebengelegen zu haben. Zu einer Entschuldigung reichte es zwar nicht, aber der Anführer wandte sich wortlos von uns ab und bedeutete den anderen beiden Hyänen, ihm zu folgen.
    Stefan nahm meine beiden schweren Taschen in eine Hand wie ein Kavalier, der seiner Freundin das Tragen abnimmt, und legte den freien Arm um mich. Verliebt begann er mit mir über den Markt zu schlendern. Dabei hielt ich seine Rose.
    Für einen kurzen Augenblick bekam ich Angst, dass er sich mit meinen Sachen davonmachen könnte. Vielleicht war er ja auch ein Schmuggler. Aber würde ein gewöhnlicher Schmuggler sein Leben für einen anderen riskieren? Und selbst wenn er meine Sachen stahl, wäre das nicht ein kleiner Preis für mein Leben? Für die Möglichkeit, weiter meine Familie ernähren zu können? Meine kleine Schwester durchzubringen?
    «Danke», sagte ich zu ihm.
    «Es war mir ein Vergnügen», lachte er so, dass man es ihm fast glaubte. Und er fügte hinzu: «Du küsst wirklich gut.»
    Er sagte das mit der frechen Autorität eines Jungen, der viele Mädchen und vermutlich auch viele Frauen geküsst hatte, um das auch wirklich beurteilen zu können.
    «Es ging um mein Leben», erwiderte ich flüsternd, damit die Passanten es nicht hören konnten. Das war weder die Zeit noch der Ort, um von Komplimenten angetan zu sein. «Um unser Leben. Du hast deins für mich riskiert.»
    Ich konnte es immer noch nicht richtig glauben. In einer Welt, in der jeder nur an sich dachte, hatte jemand alles für mich aufs Spiel gesetzt.
    «Ich wusste, dass es klappt», antwortete er ebenfalls leise. Dabei lächelte er weder gespielt noch frech, sondern ehrlich.
    «Da wusstest du mehr als ich», grinste ich gequält.
    «Es gab zwei Dinge, die dafürsprachen», erklärte er.
    «Und welche?»
    «Zum einen deine grüne Augen …»
    Er lachte, sie schienen ihm zu gefallen. Und ich war überrascht,
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