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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition)
Autoren: David Safier
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von drei verschiedenen Einheiten: von Wachleuten, von polnischen Polizisten und auf unserer Seite des Walles zudem auch noch von den jüdischen Ghetto-Polizisten. Diese Schweine taten alles, was die Deutschen von ihnen verlangten, um ein etwas besseres Leben zu haben als wir anderen. Keinem von ihnen konnte man vertrauen, auch nicht meinem reizenden großen Bruder.
    Die professionellen Schmuggler schmierten an den wenigen Übergängen, die ins Ghetto führten, die Wachen – Geld steckten sich nun mal alle Ordnungshüter gerne ein, egal zu welchem Volk sie gehören. Hatten die Wachen kassiert, konnten die Karren mit Waren die Grenze passieren. Oft war das Essen in doppelten Böden versteckt, manchmal waren aber auch die Tiere, die die Karren zogen, selbst die Ware. Beim Reinkommen ins Ghetto waren noch Pferde vor den Karren gespannt, herausgezogen wurde er wenig später von Menschen.
    Für mich war es nicht so einfach, in das Ghetto rein- oder rauszukommen. Ich hatte kein Geld, um wie so viele die Wachen zu bestechen, und war – obwohl eher schmächtig – doch zu groß, um wie viele kleine Kinder, die ihre Familien durchbringen mussten, durch eines der kleinen Löcher unterhalb der Mauer zu kriechen. Diese kleinen zerlumpten Gestalten, die sich bei Hitze, Kälte, Regen durch Mauerspalten zwängten, Kanalrohre durchkrabbelten oder waghalsig über die Mauer kletterten und sich dabei an den Scherben die Hände aufschlitzten, waren die traurigen Helden des Ghettos. Die meisten von ihnen waren jünger als zehn Jahre, einige gerade mal sechs. Doch wenn man in ihre Augen sah, schienen sie schon tausend Jahre auf dieser Erde zu wandeln. Immer wenn ich eines dieser jungen, alten Wesen sah, war ich froh, Hannah ein anderes Leben bieten zu können.
    Todgeweiht waren die kleinen Schmuggler alle. Früher oder später wurden sie von jemandem wie Frankenstein erwischt. Frankenstein, so nannten wir einen besonders brutalen deutschen Wachmann. Kalt lächelnd schoss er die kleinen Schmuggler von der Mauer, als seien sie Spatzen.
    Um in den polnischen Teil der Stadt zu gelangen, ohne wie ein Spatz zu verenden, nutzte ich einen Ort, der angeblich viele Menschen von einer Welt in eine andere führte – einen Friedhof.
    Im Tod waren wir Menschen alle gleich – auch wenn die Religionen etwas anderes behaupteten –, und so lagen der katholische und der jüdische Friedhof direkt nebeneinander, lediglich von der Mauer getrennt. Wie man sie überwinden konnte, hatte mir Ruth verraten. Einer ihrer Lieblingsfreier, der berüchtigte Ghettogangster Schmul Ascher, hatte vor ihr mit seinen Schmuggeleien geprahlt.
    Ich verließ den Markt, ging ein paar Straßen und betrat den katholischen Friedhof. Hier waren selten Menschen anzutreffen, und heute war er ebenfalls menschenleer. In diesen Zeiten hatten auch die Polen nicht viel Zeit für ihre Toten. Vielleicht hatten die Menschen das aber auch nie.
    Ich ging zügig in Richtung Mauer. Mein Blick fiel dabei auf die Gräber, und ich war erstaunt, wie opulent einige waren. Manche Grabstellen waren größer als das Zimmer, das ich mit meiner Familie bewohnte. Vermutlich gab es in diesen Kammern auch weniger Ungeziefer.
    Während ich meinen Gedanken nachhing, erkannte ich in der Ferne einen blauen Polizisten bei seiner Wachrunde. Er durfte mich auf keinen Fall ansprechen und nach meinen Papieren fragen. Einen gefälschten Ausweis, wie sie die professionellen Schmuggler besaßen, hatte ich mir nicht leisten können und würde daher sofort auffliegen.
    Ich ging ein paar Schritte weiter, ohne zu eilen, und hielt vor dem nächstbesten Grab. Dort stellte ich meine Taschen ab, legte meine Rose neben einem Kranz nieder und betete leise vor mich hin. Ich war ein braves katholisches Mädchen, das sich nach den Markteinkäufen die Zeit nahm, der Toten zu gedenken. Der Mann, an dessen Grab ich stand, hieß Waldemar Baszanowski, war geboren am zwölften März 1916 und gestorben am dritten September 1939 . Vermutlich war er Soldat in der polnischen Armee gewesen und gleich in den ersten Tagen des Krieges von den Deutschen erschossen worden. Nun war ich also die kleine Schwester Waldemars, Gott hab ihn selig.
    Der Polizist ging an mir vorbei, ohne mich anzusprechen. Er respektierte mein Gedenken an den Toten. Als er wieder verschwunden war, atmete ich tief durch. Leider würde ich die Rose auf dem Grab dieses fremden Mannes zurücklassen müssen. Schließlich hatte Stefan mir mit ihr das Leben gerettet. Ich
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