Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition)
Autoren: David Safier
Vom Netzwerk:
Kopfgeld zu verdienen. Und wenn Schmalzowniks zu allem Überfluss sogar noch unschuldige polnische Mädchen drangsalierten, würden sie richtig Ärger bekommen. Das wussten die Kerle hier auch.
    Doch der Anführer ließ sich nicht einschüchtern. Er starrte nur in meine Augen, deren Grün ihn nicht mehr von seinem Verdacht abbringen konnte, und versuchte Unsicherheit ihn ihnen zu entdecken, irgendein noch so kleines Flackern.
    Ich hielt seinem Blick stand. Mit aller Macht.
    «Ich meine es ernst», wiederholte ich.
    «Nein, das tust du nicht», erwiderte er seelenruhig.
    «Und wie!»
    «Dann lass uns gemeinsam zur Polizei gehen», schlug er vor und zeigte auf einen Polizisten in blauer Uniform, der am Stand der dicken alten Frau in einen Apfel biss und die Miene säuerlich verzog, weil der Apfel wohl nicht halb so gut war wie versprochen.
     
    Was sollte ich nur tun? Wenn ich zu dem Polizisten ging, war ich verloren. Wenn ich nicht ging, ebenso. Jetzt trat mir der Angstschweiß auch noch auf die Stirn. Der Anführer sah die Schweißperlen und lächelte. Weiteres Lügen war sinnlos.
    Wieder hörte ich den Studenten pfeifen. Ich würde bald sterben, spätestens morgen würde ich an die Wand gestellt. Meine Mutter und meine kleine Schwester würden ohne mich nicht überleben. Und der Kerl pfiff fröhlich eine kleine Melodie!
    Sollte ich jetzt wegrennen? Ich hätte kaum eine Chance zu entkommen. Selbst wenn ich trotz meiner Absätze schneller gewesen wäre als die Schmalzowniks, würden sie rufen und schreien, und unter diesen ganzen Menschen, die auf dem Markt ihre Besorgungen erledigten, würde es genug Judenhasser geben, die mich festhielten. So viele Polen verabscheuten uns. Sie wollten zwar ohne die Besatzung der Deutschen leben, aber sie waren dankbar, dass die ihnen die Juden vom Hals schafften.
    Sogar für den komplett unwahrscheinlichen Fall, dass ich allen auf dem Markt entkommen könnte, würde ich es nie im Leben unbemerkt zurück zur Mauer schaffen, um ins Ghetto zu gelangen. Wegrennen war also zwecklos. Und doch war es meine einzige Chance. Ich wollte gerade die Taschen mit meiner wertvollen Ware zu Boden werfen und um mein Leben laufen, da sah ich vor meinen Augen plötzlich eine Rose.
    Es war wirklich eine Rose!
    Direkt vor meinem Gesicht.
    Ihr intensiver Duft verdrängte in meiner Nase sogar für einen Augenblick den beißenden Gestank meines Angstschweißes. Wann hatte ich das letzte Mal den Duft einer Rose gerochen? Im Ghetto gab es keine. Und wenn ich auf dem polnischen Markt meine Ware besorgte, hatte ich nie die Muße, um an Blumen zu schnuppern. Ich hatte noch nicht einmal daran gedacht. Und jetzt, wo ich kurz davor war, an die Deutschen ausgeliefert zu werden, hielt mir jemand eine Rose hin?
    Es war der Student.
    Er stand direkt neben mir und lächelte mich aus seinen hellen blauen Augen an, als sei ich das schönste und großartigste Wesen, das er je erblickt hatte.
    Bei näherem Hinsehen sah dieser strahlende Kerl jünger aus als ein Student, eher nach siebzehn, achtzehn Jahren als nach Anfang zwanzig.
    Noch bevor ich oder einer der Schmalzowniks etwas sagen konnte, nahm er mich schwungvoll in die Arme und lachte: «Eine Rose für meine Rose!»
    Ein völlig alberner Satz. Aber so überzeugt verliebt, wie er ihn vortrug, wirkte es ganz und gar nicht lächerlich.
    Endlich begriff ich: Dieser Junge wollte mein Leben retten. Indem er vorspielte, dass ich seine große polnische Liebe war. War er auch ein Jude? Eher ein Pole. Er hätte mit seinen blonden Haaren, Sommersprossen und blauen Augen sogar als Deutscher durchgehen können. Jedenfalls war er ein großartiger Schauspieler. Egal, was er auch war, er riskierte für mich – eine Wildfremde – sein Leben.
    «Du bist die Rose meines Lebens!», strahlte er.
    Die Hyänen wussten immer noch nicht, wie sie sein Verhalten einschätzen sollten. Würde jemand, der Liebe nur vorspielte, es ausgerechnet auf so eine übertriebene Art und Weise tun?
    Wenn ich sie überzeugen und uns beide retten wollte, musste ich auf das Spiel eingehen.
    Doch ich war zu durcheinander. Ich wollte seine Rose in die Hand nehmen, aber ich war wie blockiert. Als hätte mich die Giftraupe Xala gelähmt, die sich Hannah ausgedacht hatte für ihre Geschichte von den dummen Raupen, die die Schmetterlinge hassten.
    Der Junge spürte, wie verkrampft ich war, und zog mich noch mehr zu sich heran. Sein Griff war fest, seine Arme viel kräftiger, als man es von so einem dünnen Kerl
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher