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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition)
Autoren: David Safier
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später passieren würde, eigentlich seit ich mit dem Schmuggeln angefangen hatte. Das war wenige Wochen, nachdem Papa sich entschieden hatte, uns im Stich zu lassen. Wir besaßen kein Geld mehr, um auf dem Schwarzmarkt Essen zu kaufen, und die Ration, die die Deutschen uns zuteilten, betrug pro Person gerade mal 360  Kalorien am Tag. Außerdem war das, was man uns Juden bei den Essensausgaben aushändigte, oftmals auch noch verdorben. Alles, was für die deutschen Soldaten an der Ostfront zu schlecht war, ging an uns. Verrottete Rüben, faule Eier oder gefrorene Kartoffeln, die man nicht mehr kochen konnte und aus denen man mit ein bisschen Geschick gerade noch genießbare Puffer machen konnte. An manchen Tagen im letzten Winter roch das ganze Ghetto nach diesen Kartoffelpuffern.
    Wenn ich wollte, dass meine Familie zu essen hatte, musste ich also etwas unternehmen. Meine Freundin Ruth verkaufte ihren Körper im Britannia-Hotel und hatte mir angeboten, mich zu vermitteln, selbst wenn ich, wie sie grinsend anmerkte, eher eine knabenhafte Figur besaß. Doch bevor ich so etwas machte, setzte ich lieber mein Leben als Schmugglerin aufs Spiel.
    Für den Fall, dass ich von den Schmalzowniks erwischt würde, hatte ich mir eine Geschichte zurechtgelegt: Ich wäre Dana Smuda, eine polnische Schülerin, die in einem anderen Stadtteil Warschaus wohnt, aber hier immer gerne einkauft, weil es nur auf diesem Markt diesen einen besonders süßen Blätterteigkuchen mit der großartigen Apfelfüllung gab. Dass meine erlogene Adresse weit weg lag, war wichtig, denn sonst würden die Hyänen mich direkt zu meinem angeblichen Zuhause führen und merken, dass ich log. Um meine Geschichte notfalls beglaubigen zu können, kaufte ich auf dem Markt jedes Mal ein Stück von dem Kuchen und legte es in meine Tasche.
    Bei meinen Ausflügen trug ich um den Hals auch immer eine Kette mit dem Kreuz Jesu. Zudem hatte ich viele christliche Gebete auswendig gelernt, damit ich mich als gute Katholikin ausgeben konnte. Gebete wie Rosenkranz, Sanctus oder Magnificat: «Meine Seele preiset die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott …» – als ob ein gesunder Geist in diesen Zeiten über Gott jubeln könnte.
    Wenn der auf einer Bühne vor mir stünde, würde ich ihn mit Eiern bewerfen. Auch wenn sie im Ghetto sehr viel Geld kosteten. Ich glaubte nicht an Religion. Nicht an Politik. Und erst recht nicht an die Erwachsenen. Ich glaubte nur ans Überleben.
    «Halt!», rief einer meiner Verfolger, vermutlich der Anführer der Bande.
    Ich tat so, als ob er nicht mich meinte. Ich war ja ein ganz normales polnisches Mädchen, wieso sollte ich mich da umdrehen, wenn ein Wildfremder «Halt!» ruft?
    In meinen Gedanken ging ich noch mal hastig alles durch: Ich war Dana Smuda, wohnte in der Miodawa Straße  23 , liebte Blätterteigkuchen …
    Die Hyänen schnitten mir den Weg ab und bauten sich vor mir auf.
    «Na, machst du einen kleinen Ausflug auf die andere Seite, Judenschlampe?», fragte der Anführer.
    «Was?», fragte ich gespielt irritiert. Es war jetzt überlebenswichtig, nicht ängstlich dreinzuschauen.
    «Zweitausend Złoty, oder wir liefern dich an die Gestapo aus», antwortete der Anführer, während sein Sohn – es musste sein Sohn sein, die beiden hatten die gleiche leicht geduckte Körperhaltung – mich von oben bis unten musterte, als ob er einerseits von mir, der Jüdin, angewidert wäre, andererseits sich in seinem dreckigen Hirn vorstellte, wie ich wohl ohne mein Kleid aussähe.
    «Das ist ein einmaliges Angebot: Zweitausend, und wir lassen dich in Ruhe.»
    Mit einem Mal spürte ich Schweiß an meinem Nacken. Es war kein gewöhnlicher Schweiß, den man schon mal bekam, weil die Sonne gegen Mittag stärker schien. Nein, es war Angstschweiß. Der, der so beißend riecht und von dem ich, weil ich so behütet aufgewachsen war, vor wenigen Jahren noch gar nicht wusste, dass es ihn gab.
    Solange mir der Schweiß lediglich am Nacken und unter den Achseln runterlief, war er noch nicht verräterisch, aber er durfte mir auf keinen Fall auf die Stirn treten. Diese Hyänen erkannten jedes noch so kleine Zeichen der Schwäche.
    «Hast du nicht verstanden, Judenhure?»
    Ich brachte kein Wort raus.
    In diesem Augenblick verstand ich, warum Menschen in so einer Lage Verbrechern all ihr Geld gaben, selbst wenn sie eigentlich wussten, dass sie danach dennoch ausgeliefert wurden. Sie klammerten sich an die absurde Hoffnung, dass die
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