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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition)
Autoren: David Safier
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Schmalzowniks sich an den von ihnen vorgeschlagenen Handel halten würden. Hätte ich so viel Geld, vermutlich hätte ich auch sofort zugegeben, dass ich eine Jüdin war, und es ihnen gegeben. Aber ich hatte noch nie so viel besessen. Daher rang ich mir ein Lächeln ab und sagte: «Das ist ein Irrtum.»
    «Verkauf uns nicht für dumm», zischte der Anführer. Er war sich seiner Sache ganz sicher.
    Instinktiv wusste ich, dass meine hübsch zurechtgelegte Geschichte ihn nicht überzeugen würde. Seinen Sohn und den grobschlächtigen großen Kerl hätte ich damit vielleicht täuschen können, aber nicht ihn. Er hatte bestimmt schon viele Juden in den letzten Jahren aufgespürt und garantiert noch bessere Lügengeschichten gehört als meine von der Schülerin mit dem Blätterteigkuchen. Viel bessere. Und sicher hatte er auch genug Ketten mit Jesus-Kreuzen gesehen.
    Meine Lügen würden nichts bringen. Rein gar nichts. Wie hatte ich nur so naiv sein können, so schlecht vorbereitet? Meinetwegen würde meine Mutter in unserem Zimmer in der Miła-Straße  70 in wenigen Wochen verenden, und Hannah würde auch nicht viel länger am Leben bleiben. Vielleicht würde sie sich als Bettlerin auf den Straßen des Ghettos durchschlagen, das könnte eine Weile gut gehen. Aber spätestens wenn der Winter kam, erfroren die bettelnden Kinder in den Nächten.
    Ich durfte nicht zulassen, dass Hannah das passierte. Auf gar keinen Fall!
    Ich besann mich darauf, dass die Kette und meine Lügen nicht alles waren, was mir helfen konnte. Ich hatte noch etwas, auf das ich setzen konnte: Ich sah nicht allzu jüdisch aus.
    Sicher, ich hatte dunkle Haare wie die meisten Jüdinnen – aber auch wie viele Polinnen. Dafür hatte ich eine kleine Stupsnase und vor allen Dingen etwas, das so überhaupt nicht zum Bild einer Jüdin passte: grüne Augen.
    Mein Freund Daniel hatte mir mal in einem seiner wenigen romantischen Augenblicke gesagt, sie sähen aus wie zwei Bergseen, die in der Sonne funkelten. Ich selbst hatte in meinem ganzen Leben noch keine Bergseen gesehen, von daher wusste ich nicht, ob sie wirklich grün funkeln. Und ich würde es vermutlich auch nie herausfinden.
    Immer wenn mir Menschen in die Augen sahen, wurden sie unsicher. Aus der Ferne konnte man mich für eine Polin halten oder für eine Jüdin. Von nahem aber machte mich die Farbe meiner Augen zu etwas Seltenem auf beiden Seiten der Mauer.
    Ich kämpfte gegen meine Angst an und sah dem Anführer der Schmalzowniks direkt in die Augen. Das Grün irritierte ihn. Und dann tat ich etwas völlig Irres, ohne vorher darüber nachzudenken: Ich lachte. Lauthals. Die wenigen Menschen, die mich gut kennen, wissen, dass ich fast nie lache, und wenn, dann garantiert nicht so. Für die Schmalzowniks aber klang es echt, und es verunsicherte sie noch mehr.
    Dann spottete ich: «Ihr liegt ja so daneben.»
    Ich schob mich an den verdutzten Männern vorbei, die ganz offensichtlich noch nie von einer, die sie für eine Judenschlampe hielten, ausgelacht worden waren, und ging mit meinen Taschen einfach weiter. Es war kaum zu glauben: Ich schien mit meiner Frechheit tatsächlich durchzukommen. Beinahe hätte ich gegrinst.
    Doch mit einem Mal rannte der kleine Anführer los, gefolgt von den anderen beiden, und schnitt mir erneut den Weg ab. Mir stockte der Atem. Noch mal frech zu lachen, würde mir nicht gelingen.
    «Du bist eine Jüdin, das riech ich genau», blaffte der Mann und schob sich dabei die Mütze etwas in den Nacken: «Ich bin der Beste, wenn es darum geht, euch Ungeziefer aufzuspüren.»
    «Der Allerbeste», sagte der Junge stolz.
    Ja, da war jemand stolz darauf, dass sein Vater Menschen erpresste und in den Tod schickte.
    Es war so ungerecht: Mein Vater hatte die Menschen geheilt, Polen, Juden, egal wen. Sogar einen deutschen Soldaten, der in den letzten Tagen des Einmarsches in unserer Straße angeschossen wurde, hatte er versorgt. Doch egal wie viele Menschen er auch gerettet hatte, wie angesehen er als Arzt auch gewesen war, jetzt, wo wir ihn am meisten brauchten, war mein Vater nicht für uns da, und ich konnte nicht mal ansatzweise stolz auf ihn sein.
    «Hört auf mich zu belästigen», drohte ich wütend, «oder ich hole die Polizei!»
    Den Jungen und den bärtigen Riesen beeindruckte ich mit meiner leeren Drohung. Die polnische Polizei mochte die Schmalzowniks nicht, sie waren Konkurrenten, wenn es darum ging, mit Juden, die sich illegal auf der anderen Seite der Mauer rumtrieben,
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