Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition)
Autoren: David Safier
Vom Netzwerk:
los.»
    «Nicht ohne dich.»
    «Ich werde auch da draußen sterben …»
    «Das werden wir ja sehen», ließ ich das nicht gelten.
    Ich zog ihn hoch, legte seinen Arm um meine Schulter und stützte ihn beim Gehen, so gut es ging. Mit aller Kraft schleppte ich ihn die paar Meter zu der Leiter.
    Samuel brüllte herunter: «Wir fahren jetzt ab!»
    Daniel und ich waren jetzt die einzig Verbliebenen, die unter dem Gullydeckel standen. Aus den Röhren der Kanalisation hörte ich Schritte, die sich hastig näherten. Das mussten Josef und der Hagere mit den Kameraden sein, die sie von den anderen Einstiegen holen sollten. Sie würden wohl zu spät kommen.
    Daniel war zu schwach zum Stehen. Ausgeschlossen, dass er die Leiter hochklettern könnte. Ich besaß jedoch auch nicht die Kraft, ihn auf meinem Rücken herauszutragen. Es war schon schwer genug, ihn zu stützen.
    «Geh», sagte Daniel, «stirb nicht mit mir.»
    Ich hörte, wie der Motor des Lastwagens ansprang.
    «Du musst für Rebecca da sein», bat Daniel.
    Das Motorengeräusch wurde lauter.
    Josef und ein paar andere Gestalten bogen in unser Kanalrohr ein. Sie waren vielleicht noch hundert Meter entfernt.
    «Bitte, Mira», flehte Daniel, «nur mit dir kann sie überleben.»
    Es war das Richtige, auf ihn zu hören, auch wenn es sich so falsch anfühlte.
    «Ich werde für sie da sein», versprach ich.
    Ich ließ Daniel sanft zu Boden gleiten. Er lag nun mehr im Wasser, als er saß, und würde hier sein Ende finden.
    Keine wertvollen Sekunden verlieren, dachte ich mir, keine wertvollen Sekunden verlieren.
    Ich beugte mich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
    Wertvoller konnte eine Sekunde nicht sein.
    Hastig erklomm ich die Eisenstangen. Während ich aus dem Loch kletterte, sprang Samuel auf die Ladefläche des Lasters, dessen Motor immer lauter ratterte und der jeden Augenblick losfahren würde.
    Die Kameraden im Tunnel würden es nicht mehr schaffen.
    Ich womöglich auch nicht.
    Ich rannte zu dem Wagen, dabei schien mein kaputter Fuß schier zu zerfetzen.
    Der Laster fuhr los.
    Samuel hielt mir die Hand entgegen, ich rannte noch schneller. Mir wurde vor Schmerz schwarz vor Augen.
    Samuel packte meine Hand und zog mich auf die Ladefläche. Ich blickte mich um: Amos war nicht bei uns.
    Er stand immer noch bei dem polnischen Polizisten.
    «Amos!», schrie ich.
    Er ließ vom Polizisten ab und rannte los. Noch fuhr der Lastwagen langsam, er würde es schaffen können.
    Zwei Polen, die sich eine Judenfangprämie holen wollten, stellten sich ihm in den Weg.
    «Amos!», schrie ich noch mal, wollte vom Lastwagen wieder herunterspringen, um ihm zu helfen, aber Samuel packte mich mit seinen Armen von hinten und hielt mich fest.
    Amos schubste die Polen beiseite. Er war noch etwa zwanzig Meter entfernt.
    Ich versuchte mich aus Samuels Griff zu befreien. Vergeblich.
    Der Lastwagen nahm Fahrt auf.
    Immer mehr Polen versperrten Amos den Weg.
    «Amos!», schrie ich.
    Er nahm seine Waffe und schoss in die Luft.
    Die Polen rannten weg.
    Unser Lastwagen bog um die Ecke.
    Ich sah Amos nicht mehr.
    Ich schrie!
    Samuel redete auf mich ein: «Wir kommen wieder und holen ihn. Wir holen sie alle!»
    Ich schrie und schrie und schrie!
    Da kam Amos um die Ecke. Er rannte um sein Leben, näherte sich dem Wagen. Die Kameraden streckten ihm die Hände entgegen, um ihn hochzuziehen.
    Amos wollte Samuels Hand greifen.
    Der Wagen fuhr immer schneller.
    Amos fiel zurück.
    Ich konnte noch nicht mal mehr schreien.
    Amos mobilisierte seine letzte Kraft und rannte noch schneller auf uns zu. Ich streckte ihm meine Hand entgegen. Genauso wie Samuel.
    Amos griff nach meiner …
    … und packte sie.
    Nicht loslassen. Nicht loslassen. Ich durfte ihn nicht loslassen!
    Samuel packte seinen anderen Arm, und gemeinsam zogen wir Amos auf die Ladefläche. Kaum war er drauf, krabbelten wir alle in das Innere des Lasters, ließen die Plane herunter und fuhren aus der Stadt heraus.

79
    Ich war viel zu mitgenommen, um Amos in die Arme zu fallen. Erschöpft lag ich auf dem Boden. Um mich herum die Überlebenden, ein jeder von ihnen in Gedanken versunken. An die Verstorbenen, an die Kameraden, die wir zurücklassen mussten, an das Ghetto oder an die Gefahren, die auf uns in den Wäldern warten würden.
    Rebecca krabbelte zu mir und fragte ängstlich: «Was wird mit Daniel?»
    Ich hätte sie jetzt anlügen können, dass wir ihn noch holen würden. Aber selbst wenn wir schon in einer Stunde nach Warschau
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher