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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition)
Autoren: David Safier
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Der nickte kaum merklich und machte sich sofort auf den Weg. Samuel selber stieg als Erster aus der Kanalisation heraus, um die Flucht zu koordinieren. Durch das Loch sah ich von unten, wie er und Amos sich kurz umarmten. Amos beugte sich darauf hinab und rief uns zu: «Los, los, los!»
    Er bedeutete mir, nach oben zu steigen, ich aber zögerte und blickte zur Seite. Daniel lag halb bewusstlos da, bekam kaum mit, was um ihn herum geschah. Rebecca hielt mit der einen Hand die seine, während sie mit der anderen ihre Murmel fest umklammerte.
    Ich wandte mich zu dem Kahlköpfigen, der direkt hinter mir stand, also nach mir an der Reihe mit Rausklettern war, und bat ihn: «Die Kleine als Nächste.»
    «Versprochen», antwortete er.
    Ich erklomm die rostigen Eisenstangen und zog dabei meinen kaputten Fuß nach. Als ich aus dem Loch krabbelte, blendete mich die Sonne. Nach über einem Tag in der Finsternis erkannte ich Amos nur schemenhaft. Er half mir hoch, gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: «Wir müssen uns beeilen.»
    Nach ein paar Sekunden gewöhnten sich meine Augen wieder etwas an das Tageslicht: Vor uns stand ein Lastwagen mit Plane – vermutlich ein Möbeltransporter –, und hinter dem Kanaldeckel hatte Amos ein Absperrgitter aufgestellt. Um uns herum gafften polnische Passanten. Darauf, dass aus der Erde verdreckte, stinkende Gespenster ans Tageslicht kletterten, reagierten sie teils entsetzt, teils misstrauisch und allesamt erstaunt.
    Das kleinste Gespenst war Rebecca. Von der Sonne geblendet, torkelte sie orientierungslos auf dem Kopfsteinpflaster. Ich packte sie, trug sie, so schnell ich mit meinem kaputten Fuß konnte, zum Lastwagen und setzte sie auf der Ladefläche ab.
    «Daniel», sagte die Kleine leise.
    Er war nicht unter denen, die aus dem Loch krabbelten.
    «Ich werde ihn holen», antwortete ich.
    Die Menge der Schaulustigen wuchs indessen an. Die Polen sahen schweigend zu, wie immer mehr lebende Leichen aus der Erde krochen, einer nach dem anderen … elf … zwölf … dreizehn …
    Um ihrem Misstrauen wenigstens etwas entgegenzusetzen, rief ich ihnen zu: «Das ist eine Aktion des polnischen Widerstands!»
    Juden würden sie verraten, aber Landsleute, so jedenfalls meine Hoffnung, nicht.
    «Das ist eure Möglichkeit, Helden zu sein», forderte ich sie auf. «Unterstützt eure Landsleute!»
    Sie halfen nicht. Sie glaubten mir nicht. Aber sie riefen auch nicht die Deutschen. Noch nicht.
    «Wir müssen losfahren», erkannte Amos, «die werden nicht lange ruhig bleiben!»
    «Es sind noch nicht alle draußen», widersprach ich ihm.
    Sechzehn … siebzehn… achtzehn …
    Josef und der Hagere waren noch in den Röhren unterwegs, um die anderen zu holen. Und Daniel war immer noch unten!
    Eine alte Frau raunte: «Sind das Katzen?»
    Katzen, so nannten die Polen jüdische Flüchtlinge.
    «Noch zwei Minuten», sagte Amos. «Nicht mehr.»
    «So lange wir brauchen», hielt ich dagegen.
    «Zwei Minuten!», insistierte Amos.
    Ich eilte zum Loch zurück, während Samuel und Amos den Kameraden halfen, in den Lastwagen zu klettern, und immer mehr Polen «Katzen, Katzen!» riefen.
    Ich wollte gerade hinabsteigen, da hörte ich Amos fluchen: «Scheiße!»
    Am Ende der Straße näherte sich ein einzelner polnischer Polizist in geschniegelter blauer Uniform. Noch war der Mann arglos. Er biss sogar in einen Apfel. Doch gleich würde er uns sehen, die «Katzen»-Rufe hören und die SS alarmieren.
    Amos rannte, ohne zu zögern, zu ihm.
    Ich machte mich daran, in die Kanalisation zu klettern. Bevor ich endgültig im Loch verschwand, sah ich noch einmal kurz rüber zu Amos, der mit dem Polizisten sprach. Versuchte er auch ihm zu erklären, dass das eine Aktion des polnischen Widerstandes war? Nein. Er zog unauffällig eine Pistole und rammte sie dem Polizisten in den Bauch. Wenn Amos abdrücken sollte, würde die Meute vielleicht auf uns losgehen, ganz gewiss aber würden die Soldaten vom Schuss alarmiert werden.
    Ich kletterte die Eisenstangen hinab und watete durch das Wasser zu Daniel. An mir vorbei hasteten weitere Kameraden und Zivilisten.
    Es waren noch so viele unten. Fünfzehn, zwanzig Menschen, vielleicht sogar etwas mehr. Die meisten von ihnen befanden sich irgendwo auf dem Weg von den anderen Einstiegen hierher.
    Oben schrie ein Pole: «Juden! Es sind verdammte Juden! Holt die SS !»
    Ich nahm Daniels Hand, wollte ihn aus dem Wasser hochziehen.
    «Lass mich», bat er und hustete. «Du musst
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