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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition)
Autoren: David Safier
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zurückkehrten – was undenkbar war –, würden Daniel und die anderen bereits gefangen genommen oder gar umgebracht worden sein. Und ich wollte die Kleine nicht anlügen. Daher sagte ich: «Ich hab ihm versprochen, dass ich für dich da sein werde.»
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    «Für immer?», fragte sie leise.
    «Für immer», versprach ich.
    Sie begann um Daniel zu weinen, und ich drückte sie ganz fest an mich.

80
    Eine halbe Stunde später hielten wir im Łomianki-Wald und stiegen auf einer Lichtung aus. Die frische Luft wirkte wie eine Droge. Nach den langen Stunden im Abwasserkanal, den langen Tagen im brennenden Ghetto, den langen Monaten, gar Jahren fast ohne Grün war ich von den Düften des Waldes wie berauscht.
    Die Menschen fielen sich in die Arme, sanken zu Boden, alleine, zu zweit oder gar zu mehreren. Einige weinten vor Glück, andere lachten. Abraham ertastete das Moos, als ob er so etwas Wundervolles noch nie berührt hätte.
    Da mein Fuß so sehr schmerzte, setzte ich mich sofort auf den Boden und lehnte mich dabei an einen Baum. Rebecca hockte sich zu mir, ihre Tränen waren mittlerweile getrocknet. Sie griff in ihre Jackentasche, holte ihre Murmel heraus und hielt sie mir entgegen. Die Kugel rollte ein bisschen in ihrer kleinen verschrammten Hand hin und her, bis sie ganz ruhig in der Handkuhle lag. Die Sonne schien durch die Baumwipfel direkt auf die Murmel, dadurch funkelte sie in alle Richtungen und erschien mir viel edler als je zuvor. Ein wahrhaftiger Schatz.
    «Für dich», sagte Rebecca.
    «Das … das kann ich nicht annehmen», stammelte ich.
    «Klar kannst du das», sagte die Kleine bestimmt.
    «Das ist das Schönste, was ich je geschenkt bekommen habe.»
    «Ich weiß», lächelte sie, und dabei funkelten im Licht der Sonne auch die getrockneten Tränen rund um ihre Augen.
    Die Murmel in der Hand zu spüren, den Wald zu riechen, das Lächeln der Kleinen … ja, es gab noch so viel mehr auf der Welt als meine Angst.
    Rebecca kuschelte sich in meinem Schoß ein, zeigte mit ihrem Finger auf die Murmel und fragte: «Weißt du …?»
    Ihr fielen die Augen zu. Eigentlich hätte ich sie einschlafen lassen sollen, aber ich war viel zu neugierig, was sie mir über die Murmel verraten wollte, und so fragte ich: «Was weiß ich?»
    «Da wohnt ein Reh drin …», murmelte sie mit geschlossenen Augen, «und ein Einhorn und drei Feen … und … ein …»
    Sie wurde immer leiser…
    «… Teddybä…»
    … und schlief ein.
    In dieser kleinen Kugel lebten nur freundliche Wesen.
    In ihr herrschte Frieden.
    Rebecca schlief ganz ruhig in meinem Schoß, und die warme Sonne schien auf uns hinab. Amos setzte sich zu mir, legte den Arm um mich und betrachtete mit mir die Kleine.
    «So friedlich», sagte er.
    «So friedlich», bestätigte ich.
    Wir konnten die Augen nicht von ihr nehmen. In jenem Moment waren wir eine Familie, wie sie keiner von uns mehr hatte.
    Nach einer Weile des Schweigens sagte Amos andächtig: «28 Tage lang.»
    «Was?», fragte ich.
    «28 Tage haben wir den Deutschen widerstanden.»
    28 Tage waren es gewesen? Stimmte das? Ich hatte die Tage nicht mitgezählt, auch keine Ahnung, welches Datum war. Noch nicht mal, welcher Tag. Montag? Mittwoch? War es schon Sommer?
    «Wir haben», sagte Amos stolz, «länger durchgehalten als Frankreich.»
    Mir bedeutete etwas anderes viel, viel mehr: Wir hatten Menschen aus der Hölle gerettet.
    Rebecca gerettet.
    Das hier war kein Masada, bei dem alle – Krieger, Frauen, Kinder – verendeten und nur noch deren Legende weiterlebte.
    Es war größer.
    Wir lebten.
    «Amos?»
    «Ja?»
    «Ich werde keinen neunundzwanzigsten Tag kämpfen.»
    Er begriff nicht, was ich meinte.
    «Ich werde ein Versteck suchen für mich und die Kleine …»
    Amos verstand nun, sagte aber nichts. Er wollte kämpfen, töten bis zum Schluss. Die Frage war nur: Wollte er es mehr als mich?
    Ich traute mich kaum zu fragen, aber ich musste es, auch wenn mir die Antwort das Herz brechen könnte: «Kommst du mit uns?»
    «Sich zu verstecken ist ein großes Risiko …», gab er zu bedenken.
    «Größer, als bis zum Tod zu kämpfen? Wohl kaum.»
    Amos rang mit sich. Spielte mit dem Ehering an seinem Finger.
    «Du hast deine Schuld getilgt …», hob ich an.
    «Ich werde nie …», unterbrach er mich.
    «… so gut es eben geht», redete ich weiter.
    Den Spiegelmeister konnte man nie ganz besiegen.
    Amos sagte nichts mehr.
    Gemeinsam sahen wir wieder zu
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