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272 - Dieser Hunger nach Leben

272 - Dieser Hunger nach Leben

Titel: 272 - Dieser Hunger nach Leben
Autoren: Christian Schwarz
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des römischen Caesars Moss eine fingierte Depesche der Meffia überbringen sollten. [5]
    Da Mutter den Kurs anglich, entging Rom dem großen Sterben. Wenig später erreichte die schwarze Karavelle Monaco. Mutter konnte kaum noch an sich halten. Der Glanz war nun ganz nahe. Irgendwo dort in dem Häusermeer, das eine scharf geschnittene Bucht säumte und sich die dahinter liegenden Berge hochzog, befand er sich.
    Der Schatten Bartolomé de Quintanilla war noch immer in seinem Gefängnis unter Deck eingeschlossen. Stundenlang saß er an die Wand gelehnt, die Kapuze seiner Kutte über dem Kopf, die Hände gefaltet, und betete inbrünstig.
    Mutter hatte die letzten Tage versucht, tiefer in die Strukturen des so genannten katholischen Glaubens einzudringen. Denn dieser war ganz offensichtlich der Hauptgrund für Bartolomés Aufsässigkeit. Aber sie hatte sich in den zahlreichen Widersprüchen und der Unlogik derart verloren, dass sie es aufgegeben hatte, Bartolomé verstehen zu wollen.
    Wenn Gott ein Überwesen war, etwas Großes und Heiliges, wie konnte er es zulassen, dass Menschen sein Fleisch aßen und sein Blut tranken? Wenn Gott den Menschen die Entscheidungsfreiheit über Gut und Böse gegeben hatte, wie konnte er sie dann verdammen, wenn sie sich für das Böse entschieden?
    Was Gut und Böse war, glaubte Mutter zumindest in Ansätzen verstanden zu haben - zwei Kräfte, die miteinander rangen. Aber um was nun genau? Sie selbst wurde von Bartolomé dem Bösen zugeordnet und seit Tagen nur noch als el diablo bezeichnet. In der Vorstellung des Mönchs wurde sie dadurch zu einem Wesen, das Hörner trug und den Tieren glich, die sie in dem Dorf in Irland gesehen hatte. Ziegen nannte man sie. Da aber Tiere nur schwache mentale Schwingungen und dadurch kaum Geistesenergie besaßen, wie konnte dann ein derart mächtiges Wesen wie el diablo , das der direkte Gegenspieler des menschlichen Gottes war, ein Tier sein?
    Da sie sich nicht mehr weiter mit diesen Fragen beschäftigen und sich selbst irre machen wollte, blendete sie Bartolomés Gedanken, die um so vieles komplizierter waren als die der anderen Schatten, einfach aus.
    Dadurch entging ihr, dass der Mönch neben Glaubensfragen auch noch an andere Dinge dachte.
    Es war Nacht, als das Schattenschiff im Hafen von Monaco ankerte. Ein Lichtermeer, das fast den gesamten Berg bedeckte, schimmerte herüber. Die Schatten klassifizierten es als wunderschön, aber Mutter sah nur das andere Leuchten, den Glanz.
     
    Auf diesen Moment hatte Bartolomé de Quintanilla gewartet. Wie die anderen Schatten bekam auch er über die allgemeine Bewusstseinsebene, die das gesamte Kollektiv durchzog, sämtliche Entscheidungen Mutters und die Bewegungen der Karavelle mit. Bartolomé wartete, bis die anderen Schatten von Bord gingen, um Todsünde zu begehen . Als sie über das Wasser in Richtung der leuchtenden Stadt schwebten, erhob er sich vom Boden und ging zur Tür seines Verschlages.
    In den letzten Tagen, in denen Mutter nur danach trachtete, den neu aufgetauchten Glanz zu erreichen, hatten sie nicht mehr Zwischenstation gemacht, um das Kollektiv mit einfacher Lebensenergie aufzuladen. Bartolomé hatte bemerkt, dass sein Körper - und damit das ganze Schiff - wieder durchscheinender geworden war, und er hoffte, dass es genügen würde für das, was er vorhatte.
    Er konzentrierte sich. »Padre nuestro, que estas en el cielo, sanctificado sea tu nombre…«, floss das Vaterunser über seinen Lippen. Der Dominikaner hatte es absichtlich gewählt, denn es war das Gebet, das er am inbrünstigsten sprechen konnte und in dem er sich Gott schon immer am nächsten gefühlt hatte. »… venga a nosotros tu reino. Hagase tu voluntad en la tierra como en el cielo…« Gleichzeitig presste er seinen Körper gegen das Türblatt.
    Und es klappte! Sein Leib und das Schiff waren jetzt halbstofflich genug, um miteinander zu verschmelzen! Zentimeterweise schob er sich durch das Holz in den Gang hinaus. Es war kräfteraubend, aber Bartolomé hatte zuvor viele Stunden inbrünstig meditiert und fühlte sich der Herausforderung gewachsen.
    Er hörte Mutters entsetzten Aufschrei, als sie spürte, was er tat. Sie versuchte ihn zu stoppen, die Festigkeit der Tür zu erhöhen, aber es war zu spät: Sekunden später hatte er das Hindernis überwunden.
    Bartolomé de Quintanilla floh quer durch den Schiffsbauch und stieg an Deck. Er wusste längst, dass nur die anderen Schatten ihn aufhalten konnten. Sie waren el
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