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263 - Von Menschen und Echsen

263 - Von Menschen und Echsen

Titel: 263 - Von Menschen und Echsen
Autoren: Michael M. Thurner
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einstürzen ließ, in der Grao'sil'aana sich aufhielt. [1]
    Thgáan ging tiefer. Er ließ sich treiben und fühlte die Winde, die seinen Körper umschmeichelten.
    Was sich bislang als verwirrendes Muster grünbraunweißblauer Einheiten dargestellt hatte, löste sich in Flecken von Wäldern, Seen, Steppen und eisgekrönten Bergwipfeln auf. Die Menschen nannten diese Landmasse Afra . Die Wunde an seinem Flügel vernarbte und heilte, und irgendwann verschwand der Gedanke an die Schmerzirritation aus seinem Bewusstsein. Diese Verletzung war nur eine von vielen gewesen, die er im Laufe der letzten Jahre davongetragen hatte.
    Er glitt dahin, bewegte dann und wann seine breiten Flügel, um sich in neue Luftströmungen einzufädeln. Er passte sich den Bedingungen auf der Erde an und wurde allmählich zu einem ihrer Bestandteile; so, als wäre dies hier seine Heimat.
    Um sich überhaupt ein Ziel zu geben, kehrte er nach langer Zeit - wie lange hatte er sich treiben lassen? Tage? Wochen? Monate? - zu der Vulkaninsel zurück, auf der Grao'sil'aana gestorben war.
    Da plötzlich nahm er bekannte Signale wahr.
    Sie brannten auf seiner Haut, sie erwärmten sein Inneres. Es waren die Gedankenmuster eines Daa'muren!
    Wäre Thgáan ein Mensch gewesen, hätte er Scham empfunden und sich Vorwürfe gemacht. Nach seiner Verletzung war er davongeflogen und hatte in dem Glauben, seinen Herrn verloren zu haben, seine Verpflichtungen missachtet.
    Doch Grao'sil'aana lebte! Thgáan ortete ihn auf jenem kleinen Inseltupfen inmitten des riesigen Sees, auf dem er seine Flügelverletzung davongetragen hatte.
    Er ging noch tiefer, bis er die Wipfel der Bäume fast streifte, und begann mit einer systematischen Suche nach dem Daa'muren.
    Seltsam. Die Qualität seiner Gedanken hatte sich verändert. Sie war unscharf und verzerrt. So, als litte Grao'sil'aana unter einer Art Krankheit.
    2.
    Die Würmer und Käfer und Spinnen hatten Schwierigkeiten, seinen Körper anzuknabbern. Viele ihrer Versuche gingen ins Leere, und wenn sie unerwartet doch eine Möglichkeit fanden, erweiterte er die Zwischenräume seiner Schuppen und ließ Körperdampf von seinem thermophilen Inneren ab, der die Tierchen verscheuchte oder tötete.
    Aber die Insekten waren eine nur unwesentliche Komponente seines Daseins. Viel wichtiger war der Wunsch, an die Oberfläche zurückzukehren.
    Grao'sil'aana schaffte es, einen Teil seiner rechten Hand handlungsfähig zu machen, indem er Erde mit hohem Krafteinsatz beiseite drückte. Auch beide Knie erhielten ihre Bewegungsfreiheit zurück, und selbst seinen Kopf konnte er bereits wieder drehen.
    Die Fähigkeit dieser echsenhaften Wirtskörper, die sich die Daa'murengeister herangezüchtet hatten, half ihm nicht viel. Zwar konnte er seine Körpermasse mittels Myriaden winzigster Schuppen umformen, doch ohne den nötigen Platz waren der Gestaltwandlung enge Grenzen gesetzt.
    Wie viel Zeit war inzwischen vergangen? Wie lange schon arbeitete er an einer Rückkehr ans Licht dieser kalten Welt? - Er wusste es nicht. Es mochte Tage oder gar Wochen her sein, seitdem er Mefju'drex (Matthew Drax in der Sprache der Daa'muren) verfolgt hatte und verschüttet worden war.
    Er musste weitermachen, musste rings um sich das Erdreich so weit komprimieren, dass er sich im Ganzen bewegen und eine geeignetere Körperform annehmen konnte. Vielleicht die einer Schlange oder eines riesenhaften Insekts. Noch aber war es nicht so weit. Grao'sil'aana musste Geduld aufbringen - und sich gegen Rückschläge wappnen. Immer wieder rutschte Erdreich nach und vernichtete eben erst geschaffene Freiräume. Doch irgendwann, so wusste er, würde er sein erstes Etappenziel erreichen.
    Das zweite Ziel war kurz und bündig formuliert, und es beschränkte sich auf ein einziges Wort, das »Rache« hieß.
     
    Beide Arme waren frei, auch Beine und Rumpf und Kopf. Nur noch den Oberkörper, dann würde er sich zur Rechten drehen können, wo ihm das Erdreich lockerer und luftdurchlässiger erschien.
    Ein Tierchen kroch in seinen rechten Gehörgang. Grao'sil'aana verschob mehrere seiner Hautschuppen und die Chitinschale des Kriechers zerbarst. Mit einem minimalen Schub an Hitze verbrannte er dessen Reste und konzentrierte sich wieder auf seine Bemühungen, den Raum um sich zu vergrößern.
    Er schob und drückte und kratzte. Zeit wurde zum abstrakten Begriff. Kurz. Eine Weile. Sehr lange. Eine Ewigkeit. Dies alles verwob zu einem unbedeutenden Nichts.
    Grao'sil'aana hielt sich an seinem
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