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263 - Von Menschen und Echsen

263 - Von Menschen und Echsen

Titel: 263 - Von Menschen und Echsen
Autoren: Michael M. Thurner
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zum Neuankömmling. So, wie sie es gelernt hatten.
    Der Kopf des Mannes pendelte hin und her. Er musste sich den Fragen der beiden Frauen stellen, und er tat es, ohne Zeichen von Angst erkennen zu lassen.
    Nach einer Weile senkte Brythuula ihre Waffe. Entspannt lehnte sie sich gegen einen Baum. Sie zeigte eine Haltung, die Dykestraa sicherlich nicht geduldet hätte. Auch die zweite Kriegerin wirkte von den Worten des Dicken überzeugt. Und als die beiden Frauen auch noch einen Teil des Gepäcks an sich nahmen und in Richtung Dorf schleppten, wusste Bahafaa endgültig, dass Ungewöhnliches geschehen war.
    Sie ließ die Pilze Pilze sein und schlich sich ins Dorf. Zwischen eng stehenden Hütten gelangte sie zum Versammlungsplatz. Die beiden Wächterinnen hatten längst die Bewohner der kleinen Ansiedlung aus dem Schlaf gerissen. Dykestraa, Juneeda und selbst Königin Lusaana nahmen den Neuankömmling in Augenschein. Nahe dem zentralen Lagerfeuer standen mehrere Kisten. Sie waren bunt verziert; glitzernde Steinchen an den Tragesäcken erregten zusätzliche Aufmerksamkeit.
    Bahafaa verharrte im Schatten einer Hütte. Manch eine der Kriegerinnen drehte sich ihr zu und zeigte Unbehagen in ihrem Gesicht; doch die eigentliche Sensation des heutigen Tages war der Mann, der selbstbewusst auf die drei wichtigsten Frauen der Dreizehn Inseln einredete.
    Schließlich löste er sich von ihnen und trat ein paar Schritte beiseite. Juneeda wollte ihn zurückhalten, doch Lusaana hinderte sie daran.
    Einmal drehte er sich im Kreis, dann noch einmal, sodass jedermann sein buntes Flatterkleid in Augenschein nehmen konnte. An jedem anderen Menschen hätte es lächerlich gewirkt. Doch dem Dicken passte es. Irgendwie.
    »Ich bin Hermon«, singsangte er, »der fliegende Händler. Der Mann der Frauen, der König der Possenreißer, der Meister der Stoffe und der Schnitte.« Hermon trat zu einem der Koffer und öffnete ihn mit einem Tritt. Ein Kleiderständer entfaltete sich auf wundersame Weise, und auf jedem Ausleger des Holzgerüstes hingen Dinge, die Bahafaa niemals zuvor gesehen hatte.
    Tücher, so fein gewoben, dass sie im sanften Wind flatterten. Hemden und Jacken in unglaublichen Farben. Schals aus bunter Wolle. Socken, die weit bis über die Knie reichten. Ein Mantel mit Kapuze, dessen Fellbesatz von einem Izeekepir zu stammen schien, von einem der gefährlichsten tierischen Jäger im Umfeld der Inseln. Dazu Stiefel. Gürtel. Handschuhe… Und dann das Zubehör. Glitzernde Dinge aus wertvollem Geschmeide. Gemmen, Knöpfe, Nadeln, Schnallen, Nieten, kunstvoll bearbeitete Beschläge…
    »Kreuz und quer durch Euree bin ich während der letzten Jahre auf Wanderung gewesen, um diese wertvollen Güter zu kaufen und zu verkaufen. Mein Ziel war und ist es, ein wenig Glanz in die Hütten derjenigen zu bringen, die den Widernissen des Lebens mit all ihrer Kraft trotzen - und sich irgendwann, irgendwie ein wenig Luxus gönnen möchten.«
    Luxus: Was für ein seltsames Wort. Doch es rührte eine Saite in Bahafaa. Es sprach ein Bedürfnis in ihr an, von dem sie bislang nicht einmal gewusst hatte, dass es existierte.
    »Ich möchte euch alle einladen«, Hermon drehte sich neuerlich im Kreis, »während der nächsten Wochen die Geheimnisse meines Ladens zu erforschen. Denn ich habe beschlossen, die Erlaubnis eurer Königin vorausgesetzt, die warmen Sommermonate hier zu verbringen…«
    »Wir haben kein Geld, um dir diese Dinge abzukaufen«, warf Juneeda ein. Ihr Gesicht zeigte Skepsis und Misstrauen. »Wir leben fast ausschließlich vom Tauschhandel. Du wirst mit uns kein Geschäft machen können.«
    »Hörte ich Tauschhandel?« Hermon grinste breit. »Dieses Wort regt die niederen Instinkte des Krämers in mir an. Lasst euch sagen, dass jene Felle, die ihr so achtlos über den Wäscheleinen hängen habt, in manch anderen Teilen dieser Welt ein Vermögen wert sind. Natürlich nur, wenn man bereit ist, einen Weg von mehreren hundert Tagesmärschen und voll unkalkulierbarer Gefahren auf sich zu nehmen. Ich bin dazu bereit. Ich bin Hermon der Händler, dessen Name überall gepriesen wird…«
    Er fuhr mit seinen Lobeshymnen fort, die ausnahmslos ihm selbst galten; doch die Kriegerinnen hörten längst nicht mehr zu. Gezogene Schwerter glitten in ihre Scheiden zurück, verkniffene Gesichter wandelten sich zu dümmlich grinsenden Grimassen.
    Brythuula tat den ersten Schritt auf den Kleiderständer zu. Sachte berührte sie einen Schal und hob ihn hoch ins
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