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257 - Die Spur der Schatten

257 - Die Spur der Schatten

Titel: 257 - Die Spur der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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das es dem Dorfältesten oder einer Art Großgrundbesitzer gehörte. Er fand weder Jenny noch Ann und floh durch die Hintertür. Dort umringten ihn sofort ein Dutzend hungriger Ziegen und bedrängten ihn. Erst als der Hund sie anknurrte, gaben sie den Weg frei. Auf einer Weide hinter dem Haus grasten ein paar Wakudas. Die unterkellerte Baracke daneben entpuppte sich als Käserei. Auch hier stieß Matt Drax auf Versteinerte.
    Weiter. Zum nächsten Grundstück, ins nächste Haus, in den nächsten Stall. Er rief den Namen seiner Tochter, er rief nach Jenny und Pieroo. Er rannte von Haus zu Haus, von Hütte zu Hütte. Überall fand er versteinerte Menschen, siebzig oder achtzig insgesamt, vielleicht auch noch mehr.
    An einem Brunnen in der Mitte des Dorfes hockten allein zwölf Männer auf dem Boden. Einige waren zu Stein erstarrt, als sie über die Schulter zurückblickten, andere richteten ihre versteinerten Blicke auf einen Mann, der auf einem Schemel neben dem Brunnen hockte. Der Dorfälteste, vermutete Matt Drax.
    Auf der Rückseite des Hauses, das an den Brunnenplatz grenzte, fand Matt drei Gestalten aus Stein. Einen Korb mit stinkenden Fischkadavern zwischen sich, kauerten zwei Halbwüchsige an der Fassade. Angst hatte ihre Gesichter verzerrt, als das Grauen sie ereilte. Vor ihnen stand wie schützend die Gestalt eines kräftigen Mannes mit langem schwarzen Haar und struppigem schwarzen Bart. Er hob ein Beil wie zum Schlag, seine Miene drückte Entschlossenheit aus. Selbst sein dichtes Körperhaar war versteinert.
    Es war Pieroo.
    Matt sank vor ihm in die Knie und verbarg sein Gesicht in den Händen. »Bitte nicht«, flüstert er. »O Gott - bitte nicht ....«
    Gestern Abend hatte er ihn noch gesehen. Gestern Abend hatte Pieroo noch gelebt!
    Eine Zeitlang verharrte der Mann aus der Vergangenheit so. Dann ließ er sich auf den Rücken in den Schnee fallen und starrte in den Morgenhimmel. Grau war er, grau wie Blei. Der Hirtenhund strich um ihn herum. »Wenn ich weiter suche, finde ich Jenny und Ann«, flüsterte Matt. »Wenn ich weitersuchen würde…«
    Tränen strömten ihm aus den Augen. Er verfluchte sich, weil er nicht auf sein Gefühl gehört hatte, weil er nicht schon am Abend zuvor hierher gekommen war. Eine irrationale Wut auf Aruula erfasste ihn - war sie es nicht gewesen, die ihn davon abgehalten hatte? Kälte und Nässe drangen in sein Haar. Er spürte es nicht, spürte nur seine Verzweiflung, spürte nur seine Wut.
    Der Hund stieß Matt die feuchte Schnauze in den Hals. Der Man aus der Vergangenheit richtete sich auf und starrte dem armen Pieroo ins versteinerte Gesicht. »Wäre ich bloß gestern Abend schon hierher gekommen, alter Freund. Vielleicht hätte ich dich retten können…«
    Dabei wusste er genau, dass es nichts geändert hätte, wäre er in den ersten Nachtstunden schon zum Dorf gewandert; nichts bis auf eines: Er selbst und auch Aruula wären höchstwahrscheinlich auch in Steinfiguren verwandelt worden. Was immer das Dorf der Technos auf Guernsey und dieses hier auf der irischen Insel heimgesucht hatte, es ließ sich nicht aufhalten. Dutzende von teils bewaffneten Toten belegten das.
    Matt legte den Kopf in den Nacken, sah in den bleiernen Himmel und weinte laut. Der Hirtenhund strich winselnd um ihn herum. »Ich habe Angst«, schluchzte Matt. »Wir suchen nicht weiter, okay? Wenn wir weiter suchen, finden wir zwei Statuen, die einmal Jenny und Ann gewesen sind. Und das wollen wir nicht, habe ich recht…?«
    Der Schnee fiel dichter, und Matt Drax stand auf, um nach Jenny und Ann zu suchen.
    ***
    Anfang November 2521
    Die Dämmerung löschte bereits die Farben aus den Baumkronen. Dunkelgrau sah der Wald jetzt aus. Die Schritte kamen näher, jemand atmete geräuschvoll und schnell. Die Erde bebte wie unter vielen Schritten. Fletscher runzelte die Stirn und lauschte in den Abend hinein. Täuschte er sich, oder hörte er Wisaaun grunzen und quieken?
    Dort, wo der Wildpfad entlang führte, raschelte es im Gestrüpp. Umrisse einer menschlichen Gestalt schälten sich aus den schon halbdunklen Konturen von Buschwerk und Baumstämmen. Fletscher erkannte Pieroo an seiner wilden Mähne, und als der haarige Barbar sich umwandte, auch an der Silhouette seines Bartes.
    Warum blieb er stehen? Was machte der Kerl da? Fletscher reckte den Hals aus dem Geäst des Vogelbeerbaums. Pieroo warf irgendetwas hinter sich und ging dann weiter, tiefer in den Wald hinein, näher an die Fallgrube heran - jetzt war

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