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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden
Autoren: David Benioff
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schnappte nach Luft.
    Eine halbe Stunde später sah er auf der anderen Straßenseite ihren blauen Chevrolet einparken. Einen Moment blieb sein Vater reglos hinter dem Steuer sitzen. Als Mr. Brogan schließlich ausstieg, starrte er Monty lange über das Autodach hinweg an. Er begann die Straße zu überqueren, kehrte um, schloss die Beifahrertür auf und beugte sich ins Wageninnere. Dann schlug er die Tür zu und schaute nach beiden Richtungen, ob Autos kamen, den roten Feuerwehrhelm aus Plastik in der Hand.

22
    Die geparkten Autos am Straßenrand sehen wie Riesenkugeln Vanilleeis aus, glitzern unter den Laternen. Die Markisen der Gebäude sind mit Eiszapfen gerahmt und ächzen unter dem Gewicht des Schnees. Die Straßenbäume in ihren kleinen Erdgevierten, Platanen, Sumpfeichen und chinesische Birnen, stehen bewegungslos in der stillen, klaren Luft, jeder Ast genau mit Schnee nachgezeichnet. Die Allee kommt Jakob unwirklich vor: zu weiß, zu still, wie ein verlassenes Haus, dessen Möbel mit weißen Laken verhängt sind. Es hat zu schneien aufgehört.
    Doyle brettert unangeleint durch die Gegend, mitten auf der Straße, schneidet eine Spur durch die dreißig Zentimeter Pulverschnee, ein Tropfen Tinte, der ein leeres Blatt Papier hinunterläuft. Monty folgt ihm, wirbelt dabei die Leine herum. Seine ruinierten Schuhe quietschen bei jedem Schritt. Jakob und Slattery gehen ein Stück hinter ihm, nebeneinander. Jakob versucht, immer genau in Montys Fußstapfen zu treten, genau in die Löcher im Schnee, aber Montys Schrittlänge ist zu groß und ruiniert Jakobs Rhythmus. Slattery stapft vorwärts, seine Hosenbeine haben sich bis zu den Knien mit Nässe vollgesogen.
    Vor zehn Minuten sind die drei die schmale Treppe zu Montys Apartment hinaufmarschiert und haben sich ins dunkle Wohnzimmer gesetzt. Niemand hat ein Wort gesagt. Unter der Schlafzimmertür ist Licht zu sehen gewesen, aber Monty ist nicht hineingegangen; er hat sich auf den Boden gesetzt, mit dem Rücken an der Heizung, und hat Doyle hinter dem zerbissenen Ohr gekrault. Jakob stellte sich vor, wie Naturelle im Bett lag, die Augen offen, wartend. Aus irgendeinem Grund machte ihn diese Vorstellung fertig. Er fragte sich, ob sie wusste, dass Monty im Club mit einer anderen gevögelt hatte, ob ihr das etwas ausmachte.Schließlich stand Monty auf und sagte: »Gehen wir mit Doyle spazieren. Ein letzter Spaziergang mit Doyle«, und die drei schleppten sich wieder hinaus in den Schnee.
    Jakob lauscht den schweren Schritten Slatterys; er spürt die Erschöpfung seines Freundes, die Frustration. Komischerweise tröstet es ihn, dass Slattery so mitgenommen aussieht, so fertig. Sein Gesicht ist beunruhigt, düster, und Jakob verspürt auf einmal eine Woge der Zuneigung zu ihm, weil er wegen jemand anderem so fertig ist. Slattery ist eben doch ein Guter. Kein lieber Kerl, aber ein Mensch, den man gern an seiner Seite wüsste, wenn es Ärger gibt.
    Aber bis zum Wochenende sieht er wieder gut aus, denkt Jakob. Da sehen wir beide wieder gut aus. In ein paar Stunden, wenn Monty mit dem Bus nach Otisville unterwegs ist, kann Slattery die Rouleaus runterziehen und ins Bett krauchen und schlafen, bis er sich am Sonntag bei irgendwelchen Freunden das Superbowl-Spiel ansieht: Schalen mit Popcorn und Nachos auf dem Couchtisch, zufriedene, wohlgenährte Leute auf dem Sofa, auf dem Fußboden, in der Küche am Biertrinken; alles brüllt, wenn die Guten einen Punkt machen.
    Die vier marschieren die Straßenmitte hinunter, ein Trupp unachtsamer Fußgänger, der die roten Ampeln am Ende der verwunschenen Insel ignoriert. Das einzige Fahrzeug ist ein Schneepflug mit gelben Blinklichtern, eine halbe Meile vor ihnen die Straße hinunter. Jakob fragt sich, wie weit er durch den Schnee marschieren würde, ohne zu protestieren. Monty könnte sie zum Golf von Mexiko führen, und sie würden erschöpft hinter ihm herzuckeln, ohne den Sand und die Muschelschalen unter ihren Füßen zu bemerken.
    An der 86,h Street betreten sie den Carl-Schurz-Park, hinter den eingezäunten Gingkobäumen. Doyle entdeckt ein Eichhörnchen, das neben einem Mülleimer auf den Hinterbeinen steht; sie starren einander einen Moment lang an, dann schießt Doyle los, dass der Schnee nur so fliegt. Jakob ist erleichtert, als das Eichhörnchen es zu einer Eiche schafft und sich in Sicherheit bringt. Doyle sitzt unten, mit seitlich heraushängender Zunge, und starrt traurig zu den Ästen hoch.
    Sie folgen Monty eine Reihe von
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