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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden
Autoren: David Benioff
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Sündhafte, das Unmoralische daran, das ihn fertig macht, als vielmehr die Zurückweisung. Ein Kuss, der dafür gesorgt hat, dass sich ihm die Zehen nach oben gebogen haben, hat sie angewidert, hatte zur Folge, dass sie ihre Zunge nach hinten nahm und ihre Arme schlaff herunterhängen ließ. Wenn er doch wenigstens ein sieghafter Lüstling gewesen wäre, ein Verführer, der junge Frauen entehrt und anschließend aus der Stadt fliehen muss! Aber die Verführung zu verpatzen, das Mädchen dazu zu bringen, dass es voller Ekel zurück weicht und bloß weg will...?
    In einem Punkt hat LoBianco Recht, denkt Jakob. Mary wird nicht zum Direktor gehen. Aber ihren Freundinnen wird sie es erzählen, oder nicht? Tauschen Freundinnen sich nicht über alles aus, über jede einzelne Warze auf dem Körper ihres Geliebten? Eine schreckliche Vorstellung, diese Gespräche. Er kann sie schon vor sich sehen im Coffee Shop, Marys Freundinnen, wie sie sich die Strohhalme um die Finger wickeln und wie ihnen der erotische Kitzel guten Klatsches die Münder offen stehen lässt. Oh, mein Gott! Er hat dich geküsst? Wie war es? Mary wird den Kopf schütteln. Örks, wird sie sagen. Schrecklich. Er hat mich total vollgesabbert. Als ob man ein Frettchen küsst. Sie werden aufkreischen und lachen und fragen: Was wirst du jetzt machen? Du könntest die Schule verklagen. Vielleicht kommt er ins Gefängnis!
    Wenn der Kuss besser gewesen wäre, denkt er, wenn ich sie richtig gut geküsst hätte, wäre das alles kein Problem. Monty, wäre Monty auf diese Toilette gegangen, hätte sie umarmt, ihr einen Kuss Marke Monty aufgedrückt, Herrgott, die beiden stünden jetzt noch da drin, und an die Tür würden zehntausend Leute trommeln, denen die Blase platzt.
    Das Schlimmste, was man Montgomery antun kann, denkt Jakob, die schlimmstmögliche Strafe ist es, ihn von den Frauen zu trennen und in eine Steinstadt voller harter Männer zu verbannen, voller zemarbter Verlierer mit versteckten Rasierklingen und einem Leben voller Niederlagen, die gerächt werden wollen. Monty hat bei den Frauen immer Trost gefunden; sie haben ihn angehimmelt, in Schutz genommen, sein Gesicht mit Küssen bedeckt, ihm auf der Straße Blicke zugeworfen. Was Jakob irritiert, ist das nagende Gefühl von ausgleichender Gerechtigkeit, das er dabei empfindet. Er wartet seit Jahren darauf, einmal selbst an der Reihe zu sein. Er weiß noch, wie bei dem schulübergreifenden Fest in der zehnten Klasse dieses schöne Mädchen mit dem Grübchen am Kinn mutig auf ihn zugekommen ist und mit einem Blick auf Monty gefragt hat: Wie heißt denn dein Freund? Eines Tages, hat er sich immer gesagt, werden die Mädchen zu mir rübergucken.
    Die nächsten sieben Jahre lang, denkt Jakob, werde ich in einer Stadt leben, die vor schönen Frauen aus den Nähten platzt. Überall werden sie sein, werden an der Kreuzung darauf warten, dass die Ampel umschaltet, im Bryant Park im Freiluftkino sitzen, sich in der U-Bahn an den Halteschlaufen festhalten, in den Bars von Chelsea Drinks servieren, um das Reservoir joggen, sich auf der Avenue A mit ihrem Freund streiten, in Münztelefone flüstern, vor indischen Restaurants stehen und rauchen, in den Schlafzimmern von Apartments tanzen, die über Schlafzimmer verfügen. Und Monty wird derweil in Otisville warten und femgucken, mit einem Fernseher, der oben an der Decke hängt, hinter einem Schutzgitter. Er wird mit Fremden, denen er nicht trauen kann, in einer Zelle schlafen, er wird eine Toilette benutzen, deren Wände mit Scheiße beschmiert sind, er wird Mahlzeiten essen, die von Strafgefangenen zubereitet worden sind, und dabei an die Geschichten über Glasscherben im Chili und Maden im Reis denken müssen.
    Jakob kann sich das Gefängnis vorstellen, aber er hat keine Ahnung, ob seine Vorstellung der Realität entspricht. Gefängnisse kennt er nur aus dem Fernsehen, dem Kino: die Fantasiestrafanstalten, in denen ein Unschuldiger gleichzeitig darum kämpft, am Leben zu bleiben und seine Unschuld zu beweisen, in denen ein alter Lebenslänglicher, der seit Jahrzehnten sitzt, taktische Ratschläge zum Kampf gegen die Gangs, die sadistischen Wärter, die Einsamkeit anzubieten hat. Jakob sieht den alten Lebenslänglichen deutlich vor sich, das übel zugerichtete Gesicht, in dem sich immer noch die Trauer um seine Frau abzeichnet, die er in den Fünfzigern umgebracht hat.
    Wie stellt Monty es sich vor? Begreift er, was mit ihm geschieht? Jakob starrt ihn an, aber es ist
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