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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden
Autoren: David Benioff
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doch«, sagte Monty. »Wenn wir noch länger warten, ist er tot.«
    »Vorher wolltest du ihn erschießen.«
    »Aus Mitleid. Aber seine Zeit ist noch nicht vorbei.«
    »Ach ja? Hat er dir das gesagt? Du weißt, wann seine Zeit vorbei ist, ja?«
    Monty ging vorsichtig um den Hund herum, hielt die Armeedecke wie ein Torero sein Tuch. »Das ist wie bei einem kleinen Kind, die wollen auch keine Spritze kriegen. Die schreien und heulen los, wenn sie den Doktor bloß sehen. Aber auf lange Sicht ist es gut für sie. Los, lenk ihn ab.«
    Kostya schüttelte den Kopf mit dem Gehabe eines Mannes, der schon seit Ewigkeiten unter den Verrückheiten seines Freundes zu leiden hat, dann versetzte er einer Getränkedose einen Tritt. Der Hund sah ihr hinterher. Monty warf die Decke über den Hund, machte einen Satz und schlang ihm die Arme um die Körpermitte. Knurrend kämpfte der Hund mit der Wolle, schlug seine Zähne in den Stoff und zerrte daran, versuchte der Decke das Genick zu brechen. Monty schaffte es aufzustehen und gab sich alle Mühe, ihn festzuhalten, aber der Hund war glitschig vom Blut und wand sich in seinem Griff wie ein monströses Neugeborenes. Fast war Monty bei der Corvette, da kam der Pitbull frei, riss den Kopf herum und schnappte nach ihm, die Kiefer nur ein paar Zentimeter von Montys Kehle entfernt. Er zerkratzte Monty die Arme, bevor der ihn in den Kofferraum warf, und noch während der Hund in die Aussparung für das Reserverad fiel schnappte er noch einmal nach ihm und versuchte gerade wieder auf die Beine zu kommen, da fiel der Kofferraumdeckel krachend zu.
    Monty hob die Armeedecke auf und setzte sich wieder hinter das Steuer. Kostya sah kurz himmelwärts, dann stieg er zu seinem Freund in die Corvette. Die ganze Sache hatte fünf Minuten gedauert.
    »Was geht in deine kleine Kopf eigentlich vor?«, fragte Kostya, nachdem Monty die Decke in den Fußraum hinter sich geworfen hatte. »Das war sehr dumm von dir. Das Dümmste, was du je getan hast. Nein, das nehm ich zurück. Das mit Lydia Eumanian war das Dümmste, was du je getan hast.«
    »Ich hab ihn gekriegt, stimmt's?«, sagte Monty und grinste. »Ein bisschen Grips, ein bisschen Spucke, und zack, im Sack!« Er checkte die Rückspiegel und fuhr wieder auf den Highway Richtung Uptown.
    »Ja. Spucke. Du blutest übrigens. Er hat dich gebissen.«
    »Nein, das ist das Blut vom Hund.«
    Kostya hob die Brauen. »Ja? Du hast Loch im Hals, und da kommt Blut raus.«
    Monty führte eine Hand an den Hals, spürte warmes Blut heraussickern. »Bloß ein Kratzer.«
    »Ein Kratzer, ach so. Du verblutest übrigens. Und du brauchst Tollwutimpfung.«
    »Das können sie beim Tierarzt zunähen.« Hinter ihnen rumorte der Hund im Kofferraum herum, sein Gebell war kaum zu hören durch den Verkehrslärm.
    »Was? Beim Tierarzt? Du blutest den ganzen Wagen voll, du stirbst, dein Vater schimpft mich. Oh, bu-huh, bu-huh, du hast Monty sterben lassen. Nein, bloß nicht. Fahr zur Seventh Avenue, da ist Saint Soundso, das ist richtiges Krankenhaus.«
    »Wir fahren zum Tierarzt.« Das Blut lief Monty den Arm hinab, sickerte in den Hemdärmel, sammelte sich am Ellbogen.
    »Regel Nummer eins«, sagte Kostya, »fang keine halb toten Pitbulls ein. Auf uns warten Leute, Leute mit viel Geld, und du spielst mitten auf dem Highway Cowboy — nein, Hundefänger. Du bist Unglücksrabe, du bringst mir Unglück. Alles, was schief gehen kann, das geht auch schief. Doyle's Law. Das sind nicht nur du und ich, wenn wir unterwegs sind, das sind Monty, Kostya und Mister Doyle von Doyle's Law.«
    »Doyle? Du meinst Murphy.«
    »Welchen Murphy?«
    »Welchen Doyle? Murphy's Law«, sagte Monty. »Was schief gehen kann, das geht auch schief.«
    »Ja«, sagte Kostya. »Der.«
    Von diesem Tag an hieß der Hund Doyle.

1
    Monty hat schon hundert Mal auf dieser Bank gesessen, aber heute sieht er sich die Aussicht ganz genau an. Das hier ist sein Lieblingsplatz in der City. Das hier möchte er sehen, wenn er dort, wo er hingeht, die Augen schließt: den grünen Fluss, die Stahlbrücken, die roten Schlepper, den steinernen Leuchtturm, die Schornsteine und Lagerhäuser von Queens. Das hier möchte er sehen, wenn er morgen Nacht und in sämtlichen anderen Nächten der nächsten sieben Jahre die Augen schließt; das hier möchte er sehen, wenn die elektronisch gesteuerten Tore zugefallen sind, wenn das Neonlicht aus- und die schwache rote Notbeleuchtung angeht; während der Nacht mit ihren geflüsterten Witzen und
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