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240 - Zeitsplitter

240 - Zeitsplitter

Titel: 240 - Zeitsplitter
Autoren: Manfred Weinland
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eine Augenbewegung zu Louise und Rose hin, die ihrerseits ebenfalls hinabblickten auf die verwüstete Stadt, über der sich ein eigener Himmel aus dunklen Rauchwolken bildete, »warum erzählen Sie diesen armen Leuten, wir würden nach dem Vater suchen?«
    »Ich habe nicht von Suchen gesprochen, sondern von Ausschauhalten.«
    »Wortklauberei. Sie haben Hoffnungen geweckt, die wir nicht erfüllen können – nicht erfüllen dürfen.«
    »Seit wann sind Sie so ein Menschenfreund, General?« Matts Gesicht war steinern und verbarg, wie sehr Crows Vorwurf ihn traf. Der Mann hatte recht – aber die Worte waren ihm eben einfach so über die Lippen gekommen – weil er so war.
    Eine Antwort blieb Crow ihm schuldig. Vielleicht hatte er ihn seinerseits ja auch ein bisschen getroffen mit seinen Worten.
    »Lassen Sie uns gehen«, sagte Matt schließlich. Er sah zu Mutter und Tochter hin. »Bevor sie uns noch Fragen stellen, die wir besser nicht beantworten sollten.«
    »Oder nicht beantworten können«, fügte Crow hinzu und brachte ihre Misere einmal mehr auf den Punkt. »Meine Uniform mag ihnen schon seltsam vorkommen – aber Ihr Anzug, Drax, dürfte für noch mehr Aufsehen sorgen. In Sachen Mode werden die Leute hier erst in einigen Jahrzehnten so weit sein.«
    Matt seufzte schwer. »Das war schon ein Problem für Captain Kirk und Mr. Spock…« (Raumschiff Enterprise, Folge 28: »Griff in die Geschichte«)
    »Wer?«
    »Vergessen Sie’s.« Matt wandte sich ab und ging zurück zu den Whiteheads, um sich von ihnen zu verabschieden.
    10.
    Man konnte nicht sagen, dass die Stadt sie mit ihrem facettenreichen Grauen überfiel. Sie waren ja darauf vorbereitet gewesen – zumindest hatten sie das während ihres Fußmarsches die serpentinenreiche Straße und Abkürzungspfade hinab geglaubt.
    Doch von fern betrachtet hatte das Szenario, in dem sie sich nun wieder fanden, seine wahre Dimension nicht entfalten können. Schrecklich, aber irgendwie auch surreal hatte es von der Anhöhe aus gewirkt. Schrecklich war es immer noch, aber jetzt war es ein fassbarer, sich ins Gemüt brennender Schrecken, der greifbar real geworden war, mit Gesichtern ausgestattet, von denen jedes einzelne – und es waren Hunderte, die Matt und Crow entgegenhasteten – den puren Terror jener Naturgewalt widerspiegelte, die binnen Minuten ihr ganzes bisheriges Leben ausradiert hatte.
    Immer wieder rollten Nachbeben durch die Erdrinde. Sie verschärften die Lage jedoch nicht mehr merklich – das übernahmen die um sich greifenden Brände, die von niemandem mehr eingedämmt werden konnten, wie Matt wusste, und am Ende eine geschwärzte Einöde hinterlassen würden, wo ehedem eine stolze Stadt zum Golden Gate hin ausgerichtet war. Von der berühmten Brücke, die sich einst über die Bucht spannen würde, waren noch nicht einmal Ansätze zu erspähen; bis zu ihrem Bau und der Vollendung würden noch Jahrzehnte ins Land ziehen.
    Was für ein absonderliches Gefühl, durch eine Stadt zu marschieren, die dem unaufhaltsamen Untergang geweiht war. Von der man wusste, wie sie sterben, neu erstehen und künftig aussehen würde.
    Das Elend ließ weder Matt noch Crow kalt. Beinahe jedermann, dem sie begegneten, drängte heraus aus der Stadt, beladen mit den letzten Habseligkeiten, die er hatte greifen können. Auf wenige von Pferden gezogene Karren, auf denen sich die abenteuerlichsten Dinge stapelten, kamen Heerscharen von Männern und Frauen, Alten und Kindern, die nur noch das hatten, was sie am Leib trugen, deren Gesichter geschwärzt, verzerrt und oftmals auch von Blutergüssen, offenen Wunden oder Verbrennungen gezeichnet waren. Kinder weinten lauthals, während Erwachsene und Greise meist stumm und mit versteinerter Miene dahin zogen.
    Erstaunlicherweise herrschte kein Chaos, bei dem Schwache und Unvorsichtige niedergetrampelt wurden; vielmehr erinnerte das Bild an Flüchtlingszüge in einem langen, harten und nicht enden wollenden Krieg. In kaum einem der Gesichter las Matt Hoffnung. Und doch würde San Francisco wie der berühmte Phönix aus der Asche auferstehen, prächtiger denn je.
    Aber das zählte jetzt nicht.
    Jetzt herrschte allenthalben Untergangsstimmung.
    »Sie bekommen die Feuer nicht in den Griff«, brummte Crow, der seinen Blick ebenso wie Matt überallhin schweifen ließ. Und gleichzeitig fremde Blicke auf sich zog. Es war, wie Crow schon bei den Whiteheads vorausgesehen hatte: Für die Menschen hier, die nicht völlig mit Scheuklappen durch das
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