228 - Crows Schatten
sahen den hünenhaften Gottesmann mit der schwarzen Lockenpracht an. »Was genau schlägst du denn vor, Bruder?«, fragte Rev’rend Rage.
»Wir dringen in ihre Bunkeranlage ein, räuchern sie aus und nehmen so viele von ihnen gefangen wie möglich, um wieder ein Druckmittel in die Hand zu bekommen. Gleichzeitig schicken wir ein Stoßkommando hinüber in Blacks Residenz. Die sollen den gottlosen Tyrannen entführen oder wenigstens umbringen. Wir haben ja genug Neubekehrte, die darauf brennen, für den HERRN zu kämpfen. Tja, und dann…« Er zuckte mit den mächtigen Schultern. »Dann sprengen wir das Capitol einfach in die Luft. Wir machen sie dermaßen fertig, dass ihnen ein für alle Mal die Lust vergeht, uns Ultimaten zu stellen!« Rev’rend Torture entblößte seine frisch polierten Silberzähne zu einem grimmigen Lächeln und blickte erwartungsfroh in die Runde.
Die anderen blickten betreten zu Boden. Rev’rend Rock fummelte nervös an seinem Rosenkranz herum. Jeder wusste, was der andere dachte, und jeder vermied, es sich anmerken zu lassen. Was für ein Einfaltspinsel, dachten sie.
Schließlich räusperte sich Rev’rend Sweat. »Dein Plan ist sicher nicht verkehrt, Bruder. Nur leider sind sie uns an Waffen, Kriegern und Kampfkraft ebenbürtig, und ich fürchte…«
»Auf unserer Seite aber streitet der HERR!« Rev’rend Torture ballte die Fäuste, seine Augen glühten.
Jemand klopfte am Eingang der Kapelle. Rev’rend Rage stand auf, ging zum Portal und schloss auf. Rev’rend Fire stand draußen auf dem Gang. Er war strohblond, hatte ein schmales, spitzes Gesicht und zählte noch nicht einmal zwanzig Winter. »Unsere Leute haben eine Mutter mit drei Kindern vom Stadttor vor das Theater gebracht…«
»Es ist kein Theater mehr, Rev’rend Fire, wie oft soll ich es dir noch sagen?« Rev’rend Rage schnitt eine strenge Miene. »Wir feiern Messen an diesem Heiligen Ort, wir regieren die Gottesstadt von diesem Heiligen Ort aus. Es ist kein Theater mehr, es ist eine Tempelresidenz!«
»Jawohl, Bruder Erzbischof.« Der junge Rev’rend machte einen Diener. »Unsere Leute haben also eine Mutter mit ihren drei Kindern vor die Tempelresidenz…«
»Was will sie?«
»Sie hat Angst um ihr Leben, sie ist verletzt. Ihre Kinder hungern und stecken in schmutzigen Kleidern…«
»Was will sie?!«
»Sie bittet um Asyl bei uns in Waashican.«
»Asyl?« Rev’rend Rage runzelte die Stirn. »Will sie sich denn zum HERRN bekehren?«
»Ich habe sie nicht gefragt, Bruder Erzbischof.«
»Du hast sie nicht gefragt?« Rev’rend Rage schlug einen tadelnden Tonfall an. »Das ist das Erste, was du einen Fremden zu fragen hast, Rev’rend Fire! Wie oft muss ich dir das noch sagen?«
»Jawohl, Bruder Erzbischof.« Der junge Gottesmann trat von einem Bein auf das andere. »Ich gehe zu ihr und frage sie.« Mit einem Diener machte er kehrt und marschierte davon.
»Warte!«, rief Rev’rend Rage ihm hinterher. Er drehte sich nach den anderen drei Gottesmännern um, die noch immer im Gestühl vor dem Altar saßen. »Geht mit mir, Brüder, und lasst uns das Weib gemeinsam befragen.«
Die Rev’rends erhoben sich. Gemeinsam stiegen sie die Treppen ins Erdgeschoss hinunter und gingen zum Haupteingang. Auf der großen Vortreppe wartete eine Gruppe von Bürgern der Gottesstadtenklave. Die ehemalige Diebin Yanna und der fromme William Boothcase waren unter ihnen. Einige saßen auf den Stufen und fütterten drei schmutzige Kinder mit Früchten und Nüssen. Und jetzt sahen die Gottesmänner auch die Fremde. Sie war umringt von Männern und Frauen und beantwortete ihre besorgten oder auch nur neugierigen Fragen. Dass es eine schöne Frau war, sah Rev’rend Rage auf den ersten Blick.
Die Rev’rends traten hinaus, der Erzbischof vorweg. Das Stimmengewirr auf der Vortreppe verstummte. »Ein Mörder hat sie verfolgt!« Yanna kam den Gottesmännern entgegen und ergriff sofort das Wort. »Sie hat es im letzten Moment durch das Westtor in die Stadt geschafft.« Yanna deutete auf die Fremde. »Der HERR hat sie und ihre Kinder gerettet!«
Die Leute schoben die Fremde aus ihrer Mitte den Rev’rends entgegen. Scheu stand sie da und wagte kaum, den Gottesmännern in die Augen zu schauen. Sie sah mitgenommen aus – ihre Haut war bleich und mit blauen Flecken übersät. Ihr linkes Auge war von einem Bluterguss eingerahmt und geschwollen. Blutkrusten klebten ihr an Nase und Lippen.
Jetzt erst nahmen die Kinder die Rev’rends wahr. Sie
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