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215 - Die Macht des Sehers

215 - Die Macht des Sehers

Titel: 215 - Die Macht des Sehers
Autoren: Jo Zybell
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Tala auf der gegenüberliegenden Seite der Tafel registrierte er nur flüchtig.
    Die junge Frau lächelte zwar, denn immerhin war es ein Prinz, der sich um sie bemühte. Doch im Grunde saß sie recht hölzern neben ihm und reagierte nur selten auf seine vielen Versuche, mit ihr anzubändeln. Kein Wunder: Matt hatte gehört, dass die tapfere Frau erst kürzlich ihren Geliebten verloren hatte; durch die Gruh. Auch den Namen des Mannes hatte er gehört: Nabuu.
    Den Gesprächen zwischen de Rozier und seiner Tochter entnahm er beiläufig, dass Marie auf ihrer Wolkenstadt vorerst in der Gegend des Kilimandscharo bleiben würde, bis ihre Truppen das Buschland rund um die Große Grube nach überlebenden Gruh durchkämmt hatten. Der Kaiser selbst wollte mit seinem weißen Gast in wenigen Stunden zur Hauptstadt aufbrechen.
    Einerseits nahm Matt Drax diese Neuigkeit mit einer gewissen Enttäuschung zur Kenntnis. Er hätte die patente Frau gern ein wenig näher kennen gelernt. Andererseits war er erleichtert. Er spürte ja genau, dass sie ihm gefährlich werden könnte. Matt hatte lange keine Frau mehr in den Armen gehalten; viel zu lange nicht mehr.
    Irgendwann betrat eine schlanke ältere Lady den Speisesaal und setzte sich dem Kaiser gegenüber auf einen freien Stuhl.
    Sie hatte atemberaubend schwarze Haut und langes silbergraues Haar, und sie trug einen schneeweißen Mantel, den sie auch bei Tisch nicht ablegte. Sie nippte an ihrer Tasse, ohne den Kaiser aus den Augen zu lassen.
    Pilatre de Rozier klopfte mit einem Silberlöffel gegen eine Wasserkaraffe, das Stimmengewirr verstummte. »Dr. Aksela hat das Wort!«, rief er in die Runde.
    Die Ärztin erhob sich. »Ich habe die Serumsprobe analysiert, die Tala aus der Großen Grube mitgebracht hat. Die Arbeit gestaltete sich weit unkomplizierter als erwartet…« Sie legte eine kurze Kunstpause ein. »Wir sind nun in der Lage, das Serum erfolgreich herstellen.«
    Sie wartete ab, bis sich der aufbrandende Jubel gelegt hatte, und fuhr fort: »Vor dem Frühstück habe ich persönlich jeden damit geimpft, der von den scheußlichen Gruh verletzt wurde. Selbstverständlich auch Euer Excellenz und den Prinzen Akfat.« Allen Erwähnten nickte sie zu, zuletzt Tala. »Und natürlich die Leibgardistin Ihrer Excellenz, unsere tapfere Heldin Tala. Sie alle können als geheilt gelten. Die Gefahr ist also wahrhaftig gebannt!«
    »Quel miracle!« Der Kaiser klatschte in die Hände. Die Männer und Frauen an der Tafel applaudierten erneut, diesmal in höfischer Zurückhaltung. Bald darauf trugen Diener Kelche auf und zogen ein auf einem Handwagen befestigtes Fass herein. Die Mundschenke gossen vergorenen Brabeelenwein ein, die Diener verteilten die vollen Kelche. Dazu gab es Pralinen und kleine Stückchen Sahnetorte.
    All das ging an Matt Drax vorbei wie ein historischer Kostümfilm, in den er zufällig geraten war. Wie mechanisch hob er seinen Kelch und prostete der schönen Prinzessin zu.
    Dass er sehr wohl in diesen Film hinein gehörte, ja sogar eine Hauptrolle spielte, merkte er, als der Kaiser um silence bat und ihn unvermittelt der Gesellschaft vorstellte.
    »In unserer Mitte weilt heute ein ganz besonderer Gast: Monsieur Matthew Drax«, sagte er und wies auf ihn. Etwa zwanzig neugierige Augenpaare richteten sich auf den Mann aus der Vergangenheit. Matt erhob sich und nickte dem Kaiser höflich zu, obwohl er lieber unter den Tisch gesunken wäre.
    Solche Art Aufmerksamkeit lag ihm nicht. Doch de Rozier fuhr unerbittlich fort: »Monsieur Drax hat nichts Geringeres getan, als vielen Unserer Soldaten, Unseren Sohn Akfat und Uns selbst vor den angreifenden Gruh zu erretten. Dafür gebührt ihm der kaiserliche Dank.«
    Der Kaiser verstummte, und Matt Drax begriff, dass es kein Entrinnen gab; er musste die Ansage erwidern. Er räusperte sich. »Nun, Majestät – ich war zur rechten Zeit am richtigen Ort, nicht mehr und nicht weniger. Es freut mich, dass ich helfen konnte.« In einer spontanen Idee hob er die Weinschale.
    »Lang lebe Kaiser Pilatre de Rozier!«, rief er laut. Und während die Gesellschaft plangemäß in Hochrufe ausbrach, nippte er an seinem Glas und setzte sich wieder hin. Geschafft.
    ***
    Madagaskar, Anfang März 2524
    »Das ist nicht wahr.« Yann Haggard sprach plötzlich sehr langsam, sehr leise und mit hohler Stimme; so wie eben einer spricht, dem man gerade sein Todesurteil verkündet hat. »Sag, dass es nicht wahr ist, Yessus.«
    »Du kennst mich, Yann.« Der kleine
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