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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese
Autoren: Joachim Masannek
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ein Seil, kickte einen Sandsack vor ihr von der Plattform, und der katapultierte sie, während er fiel, auf die Höhe der Latte. Dort holte sie mit dem rechten Bein Schwung, ließ ihr linkes gnadenlos folgen und donnerte Nervs Ball zurück und über den sprachlosen Jungen ins Tor.
    „Uhps. Das war die eins!“, lächelte sie scheinbar verlegen, als sie mit baumelnden Beinen auf der Torlatte saß. „Aber jetzt kommt der Schleimbeutelpendelparcours, und da macht Marlon bestimmt alles wett.“ Sie grinste mich an und balancierte dabei ihren unbenutzten Biesterball auf der Mittelfingerspitze. „Marlon, die Intuition, spielt gegen Fabi, der ihm erst gerade seine Freundin ausgespannt hat.“
    Mir wurde kurz schwindelig. Schwindelig vor Wut. Vor Wut und vor Schmerz. Kennt ihr das auch? So als saugte euch jemand alles Blut aus dem Kopf: ein Brain-Bug, ein Gehirnkäfer oder irgendein anderes Biest. Da hörte ich Leon.
    „Hör nicht auf sie.“ Er legte mir seine Hand auf die Schulter und führte mich zu einem der Aufzugkäfige, die an den Wänden der Höhle zu den obersten Brücken führten. „Hör nicht auf sie. Das ist eine Lüge. Wenn das die Wahrheit wär, wär Vanessa doch hier.“
    Er schob mich in den Käfig und drückte den Hebel. Der Aufzug fuhr los, und als ich ihn ansah, nickte Leon mir zu. „Dann wäre sie hier“, sagte er absolut ernst. „Und jetzt konzentrier dich. Du bist die Intuition. Du wirst die Schleimbeutel spüren. Die treffen dich selbst nicht, wenn man dir die Augen verbindet. Das hast du uns damals mit Ribaldo bewiesen. 49 Also konzentrier dich aufs Dribbeln, und wenn du von einem Klugscheißer wie mir, deinem kleinen Bruder, der zufällig auch der Slalomdribbler heißt, einen Rat annehmen willst, dann seh nicht die Stangen. Das tue ich nie. Ich sehe im Spiel nie die Gegner. Ich sehe immer nur die Lücken dazwischen. So komme ich durch.“ Er grinste verschmitzt. „Das ist dasselbe wie beim Elfmeter. Da schaut man auch nicht auf den Torwart. Der wird dann nämlich riesengroß. Man schaut auf das Tor. Auf die Ecken und Winkel, die er niemals erreichen kann. Und dann wird der Torwart plötzlich ganz klein.“
    Ich atmete durch. Mein Bruder war wirklich der beste Bruder der Welt, und während ich in die Höhe fuhr, genoss ich die Schönheit von Donnerschlag . Die Spiegel aus Quarz ließen das Mondlicht tanzen. Sie webten Schleier aus Gold in die leicht staubige Luft. Die noch jungen Blätter der Bäume glänzten wie Honig, und als wir die beiden Brücken erreichten, die sich hier oben fünfzig Meter über dem Boden parallel zwischen den Höhlenwänden spannten, war ich wieder die Nummer 10.
    Daran änderte sich auch nichts, als Fabi aus dem Aufzug stieg, der zur zweiten Brücke führte, und die Mädchen seiner Mannschaft die Katapult-Lianen bedienten. Sie rasten jauchzend zu uns in die Höhe und hingen dann rechts und links von uns in der Luft. Die Kerle dagegen blieben unten.
    „Das schaffst du!“, rief Nerv von seiner Torwartplattform, auf der er immer noch geschlagen lag, und ich hörte die Hoffnung in seiner Stimme. „Das schaffst du. Das schaffst du!“, echote es von den Wänden, und ich trat entschlossen auf die Brücke.
    Die schwang sich an Seilen durch die Höhle. Der Laufweg bestand aus einzelnen Brettern mit Lücken dazwischen, durch die ein Fußball problemlos hindurchfallen konnte.
    ‚Ich sehe nur immer die Lücken dazwischen’, hörte ich Leon noch einmal sagen. Dann sah ich die Stangen. Sie waren quietschbunt wie Zuckerstangen gekringelt. Wie sollte und konnte ich dich nicht mehr sehen? Und als Fabi die Hand hob, begannen die Pendel zu schwingen. Riesige, schleimige, wabernde Säcke, die mit etwas gefüllt waren, das man auf keinen Fall sehen wollte. Geschweige denn riechen und fühlen.
    „Du schaffst das! Du schaffst das!“, hörte ich Nerv und die anderen Kerle. „Marlon! Du schaffst das!“, klatschten sie in die Hände. „Du schaffst das! Du schaffst das!“
    Da fuhr ein dritter Aufzug zu uns in die Höhe. Er fuhr auf der anderen, der gegenüberliegenden Seite, und als sich der Käfig öffnete, trat Vanessa aus ihm heraus. Sie trug einen langen schwarzen Mantel und stellte sich demonstrativ hinter das Ziel.
    „Das ist eine Lüge!“, hörte ich Fli-Flas giggelnde Stimme. „Denn wenn das die Wahrheit wär, wär sie nicht da?“
    „Vanessa? Warum?“, flüsterte ich geschockt und sah in ihre schwarzen Augen. „Warum machst du das?“, hörte ich meine eigene Stimme
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