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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese
Autoren: Joachim Masannek
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„Zurück in den Kreis, und wer hier was tut oder schießt, bestimmt kein Dreikäsehoch. Das bestimmt nur das Rad, und die vier, die ich jetzt nacheinander erwähle, treten der Reihe nach im Revolvermänner-Elfmeter-Duell, im Schleimbeutelpendelparcours, im Seitfallflugvolley-Zielschießen und im Härte-Schuss-Test an.“
    Die Nadel wirbelte herum. Sie wurde so schnell, dass sie vor unseren Augen verschwand, und ich bekam eine Ahnung. Obwohl ich es nicht wollte, dachte ich plötzlich an das „Ich-lass-die-Hosen-runter-Spiel“. Ich dachte an Billi im Teufelstopf . Ich hörte ihn rufen: „Deshalb haben wir euch aus euren Kinderzimmern geworfen: Damit ihr verflucht und verteufelt, gedingst und hihi, endlich zu lernen beginnt, was ihr noch nicht könnt.“
    Und im selben Moment stoppte die Nadel des Schicksalsrades und schlug viermal zu.
    Sie zeigte auf Nerv, auf mich, auf Maxi und Raban …
    Danach war es still.
    Dunkel und still, und in unseren Köpfen und unseren Herzen herrschte das Nichts. Ich sah nicht, wen das Schicksalsrad bei den Biestern als unsere Gegenspieler erwählte. Ich sah nur Billi, den Ringelsocken-Flugzeugpropeller- und Klapperschlangenmann, noch einmal in seinem Unterhosenoverall durch den Teufelstopf tanzen.
    Ich sah Willi, wie er sich den Ketchup und die Mayonnaise vom Mundwinkel wischte und sagte: „Ich hab dir schon alles gesagt. Du bist auf dem Holzweg!“
    Ich fuhr noch einmal über den Schrottplatz im Finsterwald, und dort sah ich jetzt unsere Sachen liegen. Unsere Fahrräder, unsere Trikots und unsere neuen Spielerverträge. Die Blätter aus meinem Notizbuch flogen als zerplatzte Träume um mich herum, und ich hörte Vanessa:
    „Die Zeit der Piraten ist leider vorbei“, hörte ich sie und floh vor ihr aus dem Bombentrichter.
    Ich floh auf die Wiese und in den Wald am Fluss. Ich trainierte mit meinen Freunden. Wir trainierten so hart wie noch niemals zuvor. Wir lachten. Wir schwitzten, wir stöhnten und scherzten. Wir fühlten uns prächtig. So gut wie noch nie. Wir bauten Camelot 3 wieder auf. Wir schliefen hoch oben im Flüsternden Riesen. Wir jagten nach Donnerschlag . Wir wollten gewinnen. Wir wollten es Willi und Vanessa beweisen. Doch jetzt rasten ihre Stimmen durch meinen Kopf.
    „Du bist auf dem Holzweg, Marlon!“, lachte Willi mich aus, und Vanessa spottete hinter mir her: „Die Zeit der Piraten ist für immer vorbei.“
    Und sie hatte recht. Wir hatten trainiert, was wir alle schon konnten. Wir hatten uns unsere Mäuler geleckt. 48 Wir hatten geprahlt und Schaum geschlagen, und jetzt schlug das Schicksalsrad kaltschnäuzig zu.
    Es zog uns die Mäntel aus, zwei Dutzend und mehr, und deshalb standen wir – mickrig und klein – vor den Biestern und Fabi.
    „Hey Marlon!“, flüsterte der schnellste Rechtsaußen der Welt. „Verstehst du jetzt, warum Vanessa nicht mehr mit dir spielen will?“
    Er grinste mich an, und er war plötzlich so groß. So groß und so cool, und ich war so klein …
    Doch ich war auch Marlon, die Nummer 10. Ich gab niemals auf. Selbst wenn der Gegner eine Minute vor Schluss das zehn zu null schoss, kämpfte ich weiter. Und deshalb grinste ich zu Fabi zurück:
    „Ja“, sagte ich ruhig und fast ohne zu zittern. „Ich weiß es schon lang. Aber deshalb bin ich hierhergekommen. Ich will ihr beweisen, dass sie sich irrt!“ Dann rief ich die andern: „Leon, Juli, Markus, Maxi, Raban und Nerv! Wir brauchen nur einen erbärmlichen Punkt. Ein Pünktchen. Ein Tor. Dann bleiben wir weiter in Donnerschlag .“
    Ich hob meine Hand, und während die anderen in sie einschlugen, kehrte der Mut in ihre Augen zurück.
    „Ein Pünktchen! Ein Tor!“, rief Nerv, ballte die Fäuste und lief auf die unterste Brücke, auf der Fli-Fla schon auf ihn wartete. „Zimtzicken-gebissener Stutenfloh!“, lachte der Kleinste von uns, weil das Schicksalsrad auch die Kleinste der Biester für diesen Wettbewerb auserwählt hatte. „Das werd ich wohl schaffen! Das wär ja gelacht!“

DU MUSST DICH ENTSCHEIDEN, VANESSA
    Zur selben Zeit – das erzählte mir Oma Schrecklich einen Tag später –, zur selben Zeit stand Vanessa in ihrem Zimmer vor dem großen Spiegel und schaute sich an, wie sie nur in Unterhose und Trägertop nervös ihre Unterlippe zerkaute. Ihr Blick wanderte immer wieder von dem Trikot der Biester neben ihr auf dem Stuhl zu dem Brief und dem Stoffballen-großen Päckchen, die ich ihrer Großmutter gegeben hatte und die beide noch ungeöffnet auf dem Tisch
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