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2001 Himmelsfeuer

2001 Himmelsfeuer

Titel: 2001 Himmelsfeuer
Autoren: Barbara Wood
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Pfeifen und Flöten aus Holunderholz erklingen ließen; Zauber lag auch im munteren Plappern der Frauen, die im Schein der vielen Lagerfeuer ihre hübschen Körbe flochten; im Geschrei der Kinder, die Reifen- und Stockspiele veranstalteten oder Ringkämpfe auf dem feuchten Waldboden; von Zauber kündeten auch die Gesichter der verliebten jungen Mädchen, die hinter vorgehaltener Hand ihrem zukünftigen Gatten zulächelten. Eine »Geisternacht« nannte es ihre Mutter, wenn die Geister der Vorfahren von den Seelen der Bäume und Felsen und Flüsse angerufen wurden, um das Einssein aller Dinge zu feiern. Für Marimi eine Zeit überwältigender Freude, eine schöne, eine besondere Nacht.
    Nur dass sich in ihre Freude über diese festlich begangene Nacht unversehens Angst einschlich.
    Auf der anderen Seite des großen Kreises, um den die Familien den Tänzern zusahen, war ein schwarzes Augenpaar fest auf sie gerichtet: die alte Opaka, die Schamanin des Clans, prächtig anzuschauen in ihrem rehledernen Gewand und geschmückt mit Perlen und kostbaren Adlerfedern. Marimi erschauerte unter dem durchdringenden Blick, und die feinen Härchen auf ihrer Haut richteten sich auf. Opaka verschreckte jeden, selbst die Häuptlinge und Jäger, mit ihrem reichen und geheimnisvollen Zauberwissen, weil sie mit den Göttern sprach, weil sie als Einzige des gesamten Clans das Geheimnis kannte, mit der Sonne und dem Mond und allen Erdgeistern zu kommunizieren und deren Macht zu beschwören.
    Gewöhnliche Menschen waren nicht in der Lage, zu den Göttern zu sprechen. Wenn ein Mitglied des Clans bei den Göttern einen Gunstbeweis erflehen wollte, musste ein Schamane eingeschaltet werden. Ob sich eine unfruchtbare Frau ein Kind wünschte oder eine ältliche Jungfer einen Ehemann, ob die Geschicklichkeit eines in die Jahre gekommenen Jägers schwand oder ob eine Großmutter nicht mehr fingerfertig genug zum Flechten von Körben war, ob eine Schwangere Schutz vor dem bösen Blick suchte, ein Vater sich fragte, ob im ausgetrockneten Bachbett neben der Unterkunft seiner Familie je wieder Wasser fließen würde, alle wandten sie sich ehrfurchtsvoll an den Schamanen des Clans und trugen ihm demütig ihr Anliegen vor. Jedes Gesuch war mit einer Bezahlung verbunden, ein Grund dafür, weshalb die Schamanen so wohlhabend waren, ihre Hütten die am prächtigsten ausgeschmückten, ihre Ledergewänder die weichsten, ihre Perlenschnüre die schönsten. Arme Familien konnten nur mit Samenkörnern bezahlen, die reichen dagegen mit Schafsgehörn und Elchhäuten. Allen aber stand frei, sich an den Schamanen zu wenden, und alle erhielten sie – durch den Mund des Schamanen – Antwort von den Göttern. In Marimis Clan war der Schamane eine Frau, die allmächtige Opaka. Marimi hatte einmal miterlebt, wie die Alte einen Mann hatte krank werden und dann sterben lassen, nur indem sie auf ihn gedeutet hatte. So mächtig war Opaka.
    Warum aber starrte sie jetzt ausgerechnet Marimi an, mit ihren schwarzen, wie Nadelstiche brennenden Augen?
    Die junge Frau versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, und wandte sich wieder ihrer Flechtarbeit zu, sagte sich nochmals, dass die heutige Nacht eine besondere war.
    Es war die Zeit der jährlichen Zusammenkunft, zu der alle Familien des Volkes, das sich selbst die Topaa nannte, ihre Sommerunterkünfte verließen und sich aus allen Richtungen, auch dorther, wo die Erde den Himmel stützt, in den Bergen einfanden, zur Piniennussernte – etwa fünfhundert Familien, alle mit ihrer eigenen runden Grashütte und einem Lagerfeuer. Mit langen Stangen wurden dann die Zapfen von den Bäumen geholt, man röstete die Nüsse und aß sie oder zermahlte sie zu einem Brei, unter den man Wildbret und Fleischsaft mischte; was übrig blieb, wurde für die kommenden Wintermonate aufbewahrt. Während die Frauen Nüsse sammelten, veranstalteten die Männer eine Treibjagd auf Kaninchen, fingen sie mit Netzen ein und erlegten die Menge, die sie im Winter als Nahrung benötigten.
    Zur selben Zeit wurden Eheschließungen vereinbart, was nicht leicht war angesichts der komplizierten Regeln, die festlegten, wer wen heiraten durfte. Da mussten die Abstammung überprüft und bedacht, die Götter angerufen, Omen gedeutet werden. Obwohl die Topaa alle einem Stamm angehörten, waren sie Mitglieder verschiedener Clans, die wiederum unterteilt waren in zweite und erste Familien. Jeder Clan besaß sein eigenes Tiertotem: Puma, Falke, Schildkröte.
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