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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren
Autoren: Jules Verne
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gedehnt.
    »Habe ich Sie überzeugt?«
    »Sie haben mich davon überzeugt, dass, wenn es in sehr großen Tiefen Tiere gibt, diese einen sehr widerstandsfähigen Organismus haben müssen.«
    »Ja, aber wenn es diese Tiere nicht gibt, wie erklären Sie sich dann den Unfall der Scotia?«
    »Tja …«
    »Na?«
    »Na, vielleicht damit, dass die Geschichte gar nicht wahr ist!«
    Aber diese Antwort ließ nur die skeptische Verbohrtheit des Kanadiers erkennen, denn am Unfall der Scotia gab es nun wirklich keinen Zweifel. Das Loch war so groß, dass man es stopfen musste, um nicht abzusaufen; einen besseren Beweis für ein Loch kann ich mir nicht denken. Da es Felsen oder Klippen um die Unfallstelle herum nicht gab, musste es von einem Tier herrühren.
    Meiner Ansicht nach gehörte dieses Wesen zu den Wirbeltieren, Klasse der Säuger, Gruppe der Fischförmigen, Ordnung der Walfischartigen. Zur Bestimmung der Familie allerdings hätte man das Untier zerlegen müssen, um es zerlegen zu können, hätte man es fangen müssen, um es fangen zu können, hätte man es harpunieren müssen, um es harpunieren zu können, hätte man es sehen müssen, damit aber haperte es.

3. Kapitel
    Augen auf!, hieß die Losung der Mannschaft, aber schon seit Wochen verlief unsere Fahrt ergebnislos. Am 30. Juli begegnete die Fregatte amerikanischen Walfängern bei den Falklandinseln und Ned Land benutzte die Gelegenheit zu einem Probestückchen seiner Kunstfertigkeit. Innerhalb von wenigen Minuten harpunierte er zwei Wale. Am 3. August passierten wir am Cabo Virgenes die Einfahrt zur Magellanstraße, die Farragut aber nicht benutzen wollte. Am 6. August dann, um 15 Uhr, umfuhren wir mit einem Abstand von 15 sm das Kap Hoorn, gingen auf Kurs Nordwest und drangen in die Gewässer des Pazifiks ein.
    Von der Aussicht auf 2 000 Dollar geweitet, suchten Hunderte von Augen jetzt beständig die Umgebung der Fregatte ab. Mich bewegte das Geld nicht, trotzdem war auch ich immer auf Posten, schlang mein Essen in wenigen Minuten hinunter und schlief nur wenige Stunden. Alle falschen Alarme erlebte ich ebenso aufgeregt mit wie Offiziere und Mannschaft.
    Nur Ned Land, der Mann mit den schärfsten Augen an Bord, ließ sich kaum an Deck sehen. Von zwölf Stunden brachte er acht Stunden mit Lesen und Schlafen zu. Als ich ihn eines Tages deswegen zur Rede stellte, zeigte sich, dass er statt seiner Augen den Kopf gebraucht hatte, denn er erklärte mir : »Seit das Tier gesehen wurde, sind schon wieder zwei Monate vergangen. Den Berichten nach hält sich das Einhorn aber nicht gern lange an einem Ort auf. Warum sollte es auch? Nach Ihren Berechnungen kann es sich ja sehr rasch fortbewegen, und da wir wissen, dass die Natur nichts Unnützes tut, wird zu dieser Fähigkeit rascher Bewegung auch das Bedürfnis nach häufiger Ortsveränderung gehören. Welche Aussichten haben wir also, das Tier auf unserem braven Kurs zu der Stelle, an dem es zuletzt beobachtet wurde, zu sehen? Alle und keine. Wir können die Dinge also ruhig dem Zufall überlassen.«
    Am 20. August überschritten wir den Wendekreis des Steinbocks, am 27. den Äquator am 110. Meridian. Jetzt ging die Abraham Lincoln auf vollen Westkurs, denn Farragut war der Ansicht, dass es mehr Sinn hätte, in den tiefen Gewässern des Pazifiks zu suchen als in der Nähe irgendwelcher Küsten. Nachdem wir den Wendekreis des Krebses bei 132° Länge überschritten hatten, näherten wir uns den chinesischen Meeren und damit den Gewässern, in denen das Tier zuletzt beobachtet worden war.
    Die Aufregung stieg beträchtlich. Die Mannschaft aß nur noch unregelmäßig, was ihre Nervosität steigerte, und mindestens 20-mal täglich wurde blinder Alarm gegeben, wurden harmlose Großfische gejagt, bis der Irrtum sich herausstellte und die Fregatte wieder beidrehte. Die häufige Spannung und Enttäuschung blieb natürlich nicht ohne Eindruck auf die Gemüter. Nachdem die Abraham Lincoln zwei Monate lang alle nördlichen Gegenden des Pazifiks durchfahren hatte, alle Walfische angelaufen, gekreuzt, gejagt und gewendet hatte, gerast und geschlendert war und keinen Punkt zwischen Japan und Amerika unberührt gelassen hatte, ohne Riesen-Narwal, schweifende Klippen oder sonstige Unnatürlichkeiten zu entdecken, begann die Mannschaft zu meutern. Die anfangs so zuversichtliche Stimmung hatte sich gründlich geändert und der Unmut, mit dem man die Fortsetzung der Fahrt ertrug, bestand zu 30 Prozent aus Scham, zu 70 Prozent aus Zorn
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