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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren
Autoren: Jules Verne
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gigantischen Formen gegossen, erst vom Verwitterungsprozess der Jahrmillionen wurde ihr Ausmaß reduziert. Das Meer allein, das sich nie verändert, konnte in seinen unerforschten Tiefen noch einige Warenmuster der urzeitlichen Schöpfungen enthalten. Warum nicht … ?
    Aber ich lasse mich da von meinen privaten Träumereien hinreißen. Das Publikum war viel realistischer. Manchen Leuten erschien das Ganze als rein theoretisches, wissenschaftliches Problem. Die meisten aber, positive Geister vor allem in Amerika und England, forderten eine Säuberungsaktion des Meeres, da sie Handel und Verkehr empfindlich bedroht sahen.
    Die Vereinigten Staaten handelten als Erste. Der Kommandant Farragut erhielt den Auftrag, die schnelle Fregatte Abraham Lincoln auszurüsten und zum Auslaufen bereitzuhalten.
    Merkwürdigerweise war jetzt von dem Tier nichts mehr zu hören und zu sehen. Es schien fast, als habe es von der geplanten Aktion Wind bekommen, durch Abhorchen von Telegrammen am Transatlantikkabel, wie einige Witzbolde meinten. Zwei Monate lag die Abraham Lincoln auf der Lauer, da kam schließlich am 2.7.1867 die Nachricht, ein Dampfer der Linie Frisco-Schanghai habe das Tier in den nördlichen Gewässern des Pazifik beobachtet. Jetzt erhielt Farragut Befehl, innerhalb von 24 Stunden auszulaufen. Die Mannschaft der Fregatte mit den formidabelsten Fangmaschinen der Neuzeit war komplett, die Vorräte lagen an Bord, Farragut hatte längst Kohlen gebunkert, er brauchte nur noch anheizen zu lassen.
    Drei Stunden bevor die Abraham Lincoln auslief, erhielt ich folgenden Brief:

    Monsieur Pierre Aronnax
    Professor am Pariser Museum
    z. Zt. 5th Ave. Hotel, New York

    Monsieur,
wenn Sie sich der Expedition mit der Abraham Lincoln anschließen wollen, würde die Regierung der Vereinigten Staaten sich darüber freuen, dass Frankreich bei diesem Unternehmen durch Sie vertreten wird. Kommandant Farragut hält eine Kabine zu Ihrer Verfügung bereit.

    Mit sehr herzlichen Empfehlungen
    Ihr J. B. Hobson, Sekretär der Marine

2. Kapitel
    Drei Sekunden vor der Lektüre des Briefes war ich ein Mensch mit verhältnismäßig normalen Wünschen und Ansichten. Drei Sekunden danach fühlte ich mich berufen und wusste, dass mein einziger Lebenszweck von jetzt an nur noch die Verfolgung des ungeheuren Einhorns war. Ich kam zwar gerade von einer mühseligen Reise zurück und hatte mich schon auf meine kleine Wohnung im Jardin des Plant es gefreut, auf meine Freunde auch und meine kostbaren Sammlungen, aber bei diesem Angebot von Mister Hobson vergaß ich all das kleine Glück.
    »Conseil!«
    Außerdem, dachte ich mir, führt zu Schiff jeder Weg nach Europa, und wie viel schöner, dort mit einem Stück Riesenzahn anzukommen, mindestens 0,5 m lang, also ohne …
    »Conseil!«
    Es würde natürlich nicht so rasch gehen, denn erst fuhren wir ja mal in entgegengesetzter Richtung, aber was tut man nicht alles für einen so grandiosen Stoßzahn – »Conseil!«
    Endlich erschien mein Diener Conseil, das liebe flämische Phlegma.
    »Pack unsere Koffer!«
    Er begleitete mich auf all meinen Reisen, ohne jemals die geringste Beschwerde über die Dauer oder die Unbequemlichkeit der Expedition zu äußern. Er war so phlegmatisch, dass es ihm völlig gleich schien, ob wir nun nach China oder in den Kongo aufbrachen. Ein ausgeglichener, beständiger, zuverlässiger Mensch, dem die überraschenden Zufälle des Lebens nur geringen Eindruck machten.
    Conseil besaß übrigens eine merkwürdige Art von Wissen, das man nicht intelligent nennen konnte: Durch den Verkehr mit den gelehrten Männern in unserer Wohnung im Jardin des Plantes und durch den Umgang mit den bedeutenden Stücken meiner naturwissenschaftlichen Sammlung war er ein Spezialist im Klassifizieren geworden, der mit der Zuverlässigkeit einer Tabelle auf ein Stichwort sämtliche Stämme, Gruppen, Unterabteilungen, Ordnungen, Familien, Gattungen, Untergattungen, Arten und Varietäten herbeten konnte. Aber dieses wohlklingende Wissen existierte in seinem Kopf völlig losgelöst von der wirklichen Welt. Er konnte im Aquarium noch keinen Goldfisch von einem Guppy unterscheiden. Conseil war außerdem, wie sich auf mehreren Reisen in den vergangenen zehn Jahren gezeigt hatte, fabelhaft gesund und besaß Nerven aus Stahl. Er zählte 30 Jahre und sein Alter verhielt sich zu meinem wie 15 : 20. Der Bursche hatte nur einen Fehler, der ihm allerdings nicht auszutreiben war: Er redete mich stets in der dritten Person
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