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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren
Autoren: Jules Verne
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wir noch 30 m vom Brennpunkt entfernt waren, war der Glanz bereits so stark, dass er die Augen blendete.
    In diesem Augenblick sah ich die Silhouette des Kanadiers vor mir, wie er sich hoch aufreckte und mit seinem starken Arm die tödliche Harpune schwang. Aus 6 m Entfernung schleuderte er die Waffe hinab und ich hörte ganz deutlich den scharfen Klang des Aufpralls, als habe sie einen metallischen Gegenstand getroffen.
    Sofort erlosch das Licht und zwei enorme Wasserstrudel entluden sich über das Deck der Fregatte, warfen die Mannschaft zu Boden und zerrissen die Halteseile. Ein entsetzlicher Stoß schleuderte mich über die Reling ins Meer.

4. Kapitel
    Ich hatte den Halt, aber nicht den Kopf verloren. Ich empfand genau, was mir geschah: das Aufschlagen nach dem Sturz, das Eintauchen 5 bis 6 m tief ins Wasser und die automatische Reaktion meiner Beine in Schwimmstößen. Ich schwimme nicht so gut wie die Herren Byron und Poe, aber doch so, dass zunächst kein Grund zur Unruhe bestand.
    Erst nach einer ganzen Weile konnte ich die Fregatte ausmachen, eine schwärzliche Masse mit leuchtenden Feuerpartikeln, die in der Ferne verschwand. Hatte man meinen Sturz gar nicht bemerkt? Hatte Farragut denn kein Boot herabgelassen? Ich begann zu spüren, wie mich, zuerst nur ganz leicht, Verzweiflung anrührte. Mit ausholenden Armbewegungen versuchte ich, der Fregatte nachzuschwimmen.
    »Hierher! Hierher!«
    Aber beim Rufen schluckte ich Wasser, was mich erschreckte, und ich fühlte meine Kleider und Schuhe schwer an meinem Körper kleben; sie behinderten mich; ich sank, wollte rufen, schluckte Meerwasser, hustete, sank und prustete …
    »Hilfe!« Und da fühlte ich mich am Kragen gepackt, hochgezogen und gehalten und ich hörte die wohlwollend gesprochenen Worte: »Wenn Monsieur die Güte haben, sich auf meine Schultern zu stützen, geht es gleich viel besser mit dem Schwimmen!«
    »Conseil! Hat’s dich auch ins Meer geschleudert?«
    »Keineswegs. Aber da Monsieur durch das Gehalt, das Monsieur mir zahlt, einen Anspruch auf meine Dienste hat, bin ich Monsieur nachgesprungen.«
    »Und die Fregatte?«
    »Vergessen wir die Fregatte.«
    »Wieso das?«
    »Bevor ich sprang, hörte ich, wie Schrauben- und Steuerschaden gemeldet wurde. Beides ist zerbrochen, die Abraham Lincoln treibt manövrierunfähig …«
    »Zerbrochen?«
    »Zernagt, wenn Monsieur so will. Durch den Zahn des Ungeheuers.«
    »Dann ist also guter Rat teuer …«
    »Wie man’s nimmt«, sagte Conseil. »In unseren Muskeln stecken noch einige Stunden Schwimmen und in einigen Stunden kann sich einiges ändern.«
    Conseil kam jetzt dicht an mich heran und hielt ein Messer in der Hand.
    »Ich möchte mir einen etwas indiskreten Schnitt erlauben«, sagte er, fuhr mit der Klinge unter meine bleischwere Kleidung und schlitzte sie von oben bis unten auf. Ich leistete ihm den gleichen Dienst und wir schwammen beide erleichtert weiter. Wir redeten eine Weile über die Möglichkeit einer Rettung von der Fregatte her, aber wir merkten bald, wie uns das anstrengte und auch demoralisierte, da es immer offensichtlicher wurde, dass man nichts zu unserer Bergung unternommen hatte.
    Conseil war zu phlegmatisch, um sich darüber aufzuregen; sein Kopf entwickelte vielmehr einen simplen, aber praktischen Plan: Wir mussten uns darauf gefasst machen und einrichten, sehr lange zu warten, bis vielleicht doch noch ein Boot von der Abraham Lincoln kommen würde, und dazu teilten wir unsere Kräfte auf. Während der eine auf dem Rücken liegend den »toten Mann« spielte, schwamm der andere und schob ihn mit leichten Stößen vor sich her. Alle zehn Minuten wechselten wir die Rollen und hofften, so bis Tagesanbruch aushalten zu können …
    Schwache Hoffnung! Aber tief verwurzelt im Herzen des Menschen, stärker als jede Vernunft. Was uns vor der Verzweiflung am besten schützte, war die Tatsache, dass wir zu zweit hier schwammen. Ich mochte noch so oft versuchen kühl und nüchtern über unsere Lage zu urteilen, ich schaffte es nicht, »verzweifelt« zu sein und mich völlig zu desillusionieren. Obwohl das Meer ziemlich ruhig lag, fühlte ich bereits gegen ein Uhr morgens, also zwei Stunden nach dem Zusammenstoß, Ermüdung. Unter heftigen Krämpfen wurden meine Glieder steif, ich musste mich auf Conseil stützen, der ebenfalls bald zu keuchen und kurz zu treten anfing.
    »Lass mich, Conseil«, sagte ich.
    »Monsieur im Stich lassen? Eher will ich ersaufen!«
    In diesem Augenblick wurde der
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