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1936 - Im Para-Bunker

Titel: 1936 - Im Para-Bunker
Autoren: Unbekannt
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der Dagoberta Hubnyk war kaum mehr etwas übriggeblieben. Der Mikrowellenüberfall durch Eincent Garron hatte das Fleisch der Muskeln buchstäblich gegart; auch die inneren Organe hatten die Ärzte entfernen müssen - Herz, Leber, Lunge, alles war von der ungeheuer intensiven Mikrowellenstrahlung erfaßt und gegart worden.
    Nur wenig war vom Körper der Dagoberta Hubnyk übriggeblieben - genaugenommen nur das Skelett (in den entsprechenden Knochen war sogar das Mark erhitzt worden) und der Schädel, wo Teile des Gehirns die Mikrowellenattacke überstanden hatten. Diese Teile waren jetzt mit syntronischen Geräten gekoppelt worden; ein scheußlicher Anblick, wie ich fand.
    „Wieviel von ihrem Gehirn funktioniert noch?" wollte ich wissen.
    Der Arzt zuckte mit den Achseln.
    „Wir wissen es nicht", sagte er. „Normalerweise messen wir Hirnströme über die Haut, nicht unmittelbar an der Hirnmasse selbst. Hier aber ...!"
    Dagoberta Hubnyk hatte kein Gesicht mehr, folgerte ich aus dieser Bemerkung. Die Frau war in ihrer Existenz reduziert auf einige unversehrt gebliebene Klumpen von Gehirnmassen, mehr war von ihr nicht mehr vorhanden.
    „Sie ist nicht bei Bewußtsein", warf der behandelnde Arzt ein. „Wir haben ihr entsprechende Medikamente verabreicht."
    Ich schloß die Augen und versuchte, es mir vorzustellen. Meine Phantasie arbeitete auf Hochtouren:
     
    *
     
    Du wachst auf, seltsamerweise frei von Schmerzen. Du weißt, kannst es logisch folgern, wenn deine Gedanken langsam klarer werden, daß es dich gibt. Es muß dich geben, denn du denkst ja gerade darüber nach, daß es dich gibt.
    So weit, so gut.
    Aber dann wird dir langsam bewußt, als klare abstrakte Information, daß du dich selbst nicht mehr fühlen kannst. Da sind keine Finger, mit denen du spielen kannst. Keine Zehen, um damit zu wippen. Nichts, einfach gar nichts, nicht einmal Zähne, die einem weh tun können.
    Diese Fähigkeit, den eigenen Körper in Raum und Zeit wahrzunehmen, zu spüren, wie man steht, wie man den linken Arm angewinkelt, die rechte Hand zur Faust geballt hat - diese sogenannte Propriorezeption ist so etwas buchstäblich Selbstverständliches, daß man erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts alter Zeitrechnung darauf gekommen ist, sie als Phänomen zu entdecken, sich mit ihr. zu befassen und der Sache überhaupt einen Namen zu geben.
    Propriorezeption ist so selbstverständlich, daß man sich kaum vorstellen kann, diese Selbstwahrnehmung nicht mehr zu haben. Aber es gibt solche Fälle, und einer der schlimmsten vorstellbaren Fälle ist jener der Dagoberta Hubnyk.
    Vielleicht erinnert sie sich daran, einen Körper gehabt zu haben, vielleicht kann sie ihn vor ihrem inneren Auge sogar sehen und sich daran erinnern, wie er sich von innen angefühlt hat. Vielleicht hat sie ihn gehaßt, weil es ein fetter, plumper, ungeschlachter Körper gewesen ist, mit einem Gesicht, das zwischen Unauffälligkeit und Häßlichkeit angesiedelt gewesen ist. Vielleicht kann sie sich an den Klang ihrer Stimme erinnern, an ihre Kurzatmigkeit, wenn sie ein paar Schritte hat laufen müssen.
    Jetzt ist da nichts mehr, gar nichts mehr. Du weiß, daß es dich gibt, denn du denkst; vielleicht bist du philosophisch oder historisch gebildet, dann kannst es auf lateinisch sagen: cogito, ergo sum. Rene Descartes, ein bedeutender Philosoph.
    Aber außer zu dem Ich, das da denkt, hast du zu nichts Kontakt. Du hörst nichts, kannst keine Ohren spüren. Keine Augen, kein Licht. Du bist ganz allein mit dir, auf eine Art und Weise, die du dir bisher niemals hast vorstellen können.
    Was dich unterscheidet von der unvorstellbaren Isolation Gottes vor Beginn der Schöpfung? Wenn du denkst, es werde Licht, wird nichts geschehen.
    Und sehr bald wirst du nur noch eines denken - es werde Dunkelheit!
     
    *
     
    Ich wandte mich ab; diese Vorstellung war einfach zu grauenhaft, um länger darin zu verhaften.
    „Und warum hast du uns kommen lassen?" fragte Gia de Moleon mit rauher Stimme. „In welcher Form könnte diese bedauernswerte Frau uns als überlebende Zeugin nützlich sein?"
    Der Mediziner preßte die Lippen aufeinander.
    „Wir haben ihr Gehirn sehr genau untersucht und dabei Regionen gefunden, die noch einwandfrei funktionieren. Andere Bereiche sind unwiederbringlich zerstört. Wir haben mit Hilfe der angekoppelten Syntronik einige der Erinnerungen der Frau aus dem Gehirn geholt. Es sind Bilder von sehr schlechter technischer Qualität, und schön anzusehen sind sie
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