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178 - Die vergessene Macht

178 - Die vergessene Macht

Titel: 178 - Die vergessene Macht
Autoren: Stephanie Seidel
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Dorf darin verschwinden zu lassen.
    Einer aber brachte etwas ans Tageslicht.
    Der Grandlord folgte seinen Männern mit gemischten Gefühlen über die rauchende Erde am Rand ihrer Siedlung. Das Beben hatte den Eingang zu einem Minenstollen freigelegt. In einer Höhle darin – so berichteten die aufgeregten Socks – sollten sich rätselhafte Fremde aufhalten.
    »Da sind sie, Roddy!«, raunte der Bruder des Grandlords und blieb mit seiner Axt auf der Schwelle stehen. Im Stollen hinter ihm drängten sich die Socks zusammen. Alle wollten etwas sehen, aber keiner traute sich in die unheimliche Höhle hinein. Sie hatte Ecken wie das Steinhaus des Grandlords, und ihre Decke war weiß.
    Das allein machte sie schon gefährlich, denn wer hatte je von einem weißen Raum unter der Erde gehört? Da waren die merkwürdigen Gegenstände am Boden und die Skelette dazwischen schon fast egal!
    Der Grandlord war anders als die üblichen Vertreter seiner Spezies; wissbegierig und von hellem Verstand.
    Doch auch er griff unwillkürlich zur Waffe, als er den Raum betrat und die Fremden an den Wänden sah. Sie waren mitten im Kampf erstarrt. Viele bluteten, einige hatte soeben ein Pfeil getroffen, andere eine Klinge durchbohrt. Sie schrien vor Schmerz – und doch war es totenstill im Raum.
    Ohne die Fremden aus den Augen zu lassen, zog der Grandlord ein Messer. Er schleuderte es auf einen Mann in silberner Rüstung; es prallte ab und fiel klirrend zu Boden. Mit ihm kam ein Stück Putz herunter, und der Grandlord runzelte die Stirn: Der Silbermann hatte plötzlich ein graues Loch im Gesicht!
    Zögernd trat Roddy vor und streckte die Hand aus.
    Seine Unsicherheit wich Erstaunen, als er das Gesicht des Fremden berührte. Es war eiskalt, und man konnte das Loch mit dem Fingernagel vergrößern, ohne auf Knochen oder Fleisch zu stoßen.
    »Licht! Ich brauche mehr Licht!«, befahl er.
    Sein Bruder brachte eine zweite Fackel herein. Sie blakte und verbreitete mehr Gestank als Helligkeit, deshalb sah er sich nach einer Alternative um. Er fand ein schweres, großes Buch, das in verdorrtem Leder steckte, und zündete es an.
    »Tom!« Der Grandlord winkte den Bruder zu sich. Er wies auf die Fremden. »Das sind keine Menschen! Es sind… Farben.«
    »Farben?« Tom rieb sich den Bart. »Du meinst, wie Brabeelensaft oder Kohle? Aber sie sehen so lebendig aus! Bist du sicher, Roddy?«
    »Ganz sicher.« Der Grandlord hielt ihm die Hand hin.
    »Gib mir mal deine Axt!« Er nahm sie entgegen, trat einen Schritt zurück und sagte: »Jetzt pass auf!«
    Dann schlug er zu, und unter seinen Hieben verwandelte sich der Silbermann in bunte Bröckchen, die davon spritzten und am Boden zerschellten.
    »Kein Blut!«, sagte Tom erstaunt.
    Der Grandlord lachte. »Was nicht lebt, das blutet auch nicht.« Er ließ Tom stehen und wandte sich mit einer Erklärung an die Socks. »Menschen, die nur aus Farbe sind, nennt man Gemälde !«
    Dafür erntete er stumme Bewunderung. Der rotbärtige Anführer wusste viel und kannte Worte, die den einfachen Menschen seiner Zeit nichts sagten. Roddy verdankte seine Kenntnisse den Technos in Devon: Seit sie ein Serum gegen ihre Immunschwäche besaßen, trieben sie mit handverlesenen Männern der Außenwelt Handel. Der Grandlord war einer dieser Männer. Er lieferte Brot und Früchte an die Community und ließ sich dafür mit Wissen bezahlen. So hatte er zum Beispiel erfahren, dass hinter dem Meer vor der cornischen Küste keineswegs das Ende der Welt lag, sondern fremde Länder.
    Seitdem träumte Roddy davon, sie zu besuchen.
    Doch es gab noch etwas viel Bedeutenderes, das den Grandlord von seinen Leuten unterschied: Er konnte lesen.
    Während die Socks in das Stollengewölbe drängten, um die Menschen aus Farbe zu betasten und mit der Waffe zu bedrohen, um vielleicht doch eine Reaktion hervorzurufen, trat ihr Anführer ein Stück zurück. Er musterte die Bilder nachdenklich. Sie bedeckten alle vier Wände und waren durch Streifen getrennt, die aus untereinander stehenden Schriftzeichen gebildet wurden.
    Hielt man die richtige Reihenfolge ein, rechts vom Eingang beginnend, erzählte das Ganze eine rätselhafte Geschichte.
    Die Socks aber sahen nur blutige Kampfszenen und verloren schnell das Interesse. Sie durchwühlten stattdessen die am Boden verstreuten Gegenstände nach etwas Brauchbarem. Es waren Überbleibsel aus der Zeit vor dem Kometeneinschlag. Hier und da besaß noch etwas seine ursprüngliche Form, erwies sich aber dennoch
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