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178 - Die vergessene Macht

178 - Die vergessene Macht

Titel: 178 - Die vergessene Macht
Autoren: Stephanie Seidel
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blieb Daa’tan verborgen. Ihn fesselte der Anblick des knurrenden Fisches.
    Schön sah er aus, so schlank und elegant. Und wie spielerisch leicht er sein nasses Element verließ, um einen Blick in andere Welten zu werfen! Niemand hielt ihn zurück, nichts versperrte seinen Weg. Kein Bewacher, kein Auftrag, kein Ziel. Grenzenlose Freiheit – das war es, was den Fisch zu seinen Freudensprüngen veranlasste. Daa’tan beneidete ihn.
    Irgendwann tauchte er ab und verschwand, und Daa’tan machte sich auf den Weg unter Deck. Er hätte so gerne jemandem von seinen Gefühlen erzählt; von der Sehnsucht nach der Ferne, nach einem Freund und davon, wie sehr ihm seine Mutter fehlte, auch wenn sie eigentlich eine Fremde war.
    Doch es gab niemanden, mit dem er sprechen konnte.
    Grao’sil’aana verstand nichts von Emotionen. Er hätte ihn auch bloß daran erinnert, dass eine große Aufgabe vor ihm lag und dass er gar keine Gefühle haben durfte.
    Daa’tan ließ den Kopf hängen. Vom ersten Tag seines Lebens an hatten ihm die Daa’muren eingeimpft, dass er etwas Besonderes war, und für gewöhnlich glaubte er das auch selbst. Aber als er das Deck der Roter Bhagar entlang ging, mit der aufziehenden Nacht im Rücken und dem Wind als einzigen Begleiter, da war Daa’tan nichts Besonderes. Nur ein einsamer kleiner Junge.
    Sein eigener Kummer faszinierte ihn so sehr, dass er auf dem Weg nach unten glatt vergaß, kräftig aufzutreten. Dabei bot sich das an, denn die Holztreppe war alt, und sie knarrte, dass einem die Ohren schmerzten. Stattdessen schlich Daa’tan die Stufen hinunter wie ein Spuk.
    Die Kajüten am Treppenende waren dunkel und verlassen. Nur aus einer drang ein Lichtschein, und wenn man genau hinhörte, konnte man zwischen den Schiffsgeräuschen leise Stimmen ausmachen.
    Daa’tan huschte näher, fand einen Türspalt und spähte neugierig hindurch. In der Kajüte saßen fünf Mönche; sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich so sacht, dass die Kerze auf dem Tisch zwischen ihnen kaum flackerte.
    Der Junge versuchte etwas zu verstehen, als plötzlich jemand die Treppe heruntergepoltert kam. Daa’tan musste seinen Lauschposten aufgeben. Er seufzte. Es gab bestimmt ein Geheimnis an Bord, aber er konnte sich erst darum kümmern, wenn es wieder hell wurde – und die Nacht hatte gerade erst begonnen!
    Als er Grao’sil’aanas Kajüte betrat, ahnte Daa’tan schon, dass er keinen Schlaf finden würde. Er hatte ein merkwürdiges Wort aus dem Geflüster herausgehört, und das hing in seinem Bewusstsein fest wie mit Yakkspucke angeklebt: Nuntimor. Was mochte es bedeuten?
    ***
    6. Dezember 2011
    Wintersterne funkelten über Cornwall, und ein eisiger Wind wehte. Er kam von der Küste herauf und strich durch die verschneiten Gärten von Parrington Manor, dem Landsitz des Innenministers Charles Bellard. Vor dem Haus parkte eine Reihe schwarzer Limousinen.
    Erleuchtete Fenster spiegelten sich daran.
    Jenseits dieser Fenster saß der Hausherr in einer Sitzung, bei der kein Protokoll geführt wurde. Lord Bellard war Vorsitzender der Custoden, einer geheimen Bruderschaft. Ihre Mitglieder waren einflussreiche Männer aus Politik und Wirtschaft. Bellard hatte sie zu sich gebeten, weil am Nachthimmel »Christopher-Floyd« aufgetaucht war.
    Verdammter Komet! , dachte der Minister, während sein Blick durch den rauchgeschwängerten Salon wanderte.
    Uralter englischer Adel bevölkerte die Sessel ringsum, ein Glas in der Hand und so gefasst, wie man es von wahren Gentlemen erwarten konnte. Bellard seufzte innerlich. Es ist eine Schande, dass solche Männer sterben müssen!
    Er räusperte sich. »Meine Herren! Ich denke, wir haben nun alles Wesentliche besprochen. Viele von Ihnen werden sich schon bald in die Regierungsbunker begeben; Lord Cavenaugh und Sir James reisen nach Australien, und Chief Inspector Rodman hier fliegt in die Karibik.«
    Justin Cavenaugh lachte in sein Glas. »Die werden sich freuen, wenn Scotland Yard bei ihnen auftaucht!«
    Bellard ignorierte ihn und fuhr fort: »Nuntimor bleibt, wo es ist. Sein Versteck ist unter den gegebenen Umständen so sicher oder unsicher wie jeder andere Ort auf der Welt; es macht also keinen Sinn, jetzt noch ein neues Refugium zu suchen.«
    »Doch, das macht es!«, widersprach Lord Cavenaugh energisch. »Nuntimor gehört nach England! Das hat es immer getan, und wenn Britannien untergeht, soll es in der Heimaterde begraben sein!«
    »Hört, hört!«, scholl es durch
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