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1610 02 - Kinder des Hermes

1610 02 - Kinder des Hermes

Titel: 1610 02 - Kinder des Hermes
Autoren: Mary Gentle
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darauffolgenden Tag machten wir uns erneut auf die Suche. Wieder wurde ich zunächst in Whitehall vorstellig. Wie es jedoch aussah, musste Minister Cecil sich auch noch um die Hochzeit seiner Tochter kümmern, welche in der dritten Juniwoche stattfinden sollte. Da der König überdies seinen Aufbruch vorbereitete und sich auch alle gutbetuchten Bürger einschließlich des Bürgermeisters anschickten, in seinem Gefolge die Stadt und ihre Sommerhitze den Armen und der Pest zu überlassen, herrschte reges Treiben bei Hof.
    So verließ ich Whitehall wieder und beobachtete aus sicherer Entfernung, wie der frisch gekrönte Prince of Wales den Tower besuchte. Heinrich Stuart suchte nach wie vor die Gesellschaft von Sir Walter Raleigh – was ihm die Bewunderung der jüngeren und die Abscheu der älteren Höflinge einbrachte. Mir kam die Galle bei dem Gedanken hoch, dass dieser englische Prinz einfach dorthineinging, während ich … während ich am Fluss entlang gehen und den Tower nur vom Ufer her betrachten konnte. Ich wagte nicht, einfach dorthin zu gehen. Tollkühnheit ließ mich hundert Pläne schmieden, und die Vorsicht sagte mir, dass keiner davon praktikabel war; schließlich hing das Leben eines Anderen davon ab.
    Falls sie überhaupt dort ist … falls sie überhaupt noch lebt. Vielleicht haben sie sie ja auch nach Wookey gebracht … oder sonst wohin in England!
    In den folgenden zwei Tagen brach ich in beide Häuser ein, die Robert Fludd gehörten, während Monsieur Saburo Schmiere stand: in das in Knight-Rider-by-Paul's und in das an der Tooley Street. In beiden fand ich nicht die geringste Spur.
    »Und? Was gefunden?«, verlangte Saburo zu wissen, nachdem ich über die Mauer des Lagerhauses gesprungen war und wieder neben ihm her Long-Southwark hinunterging.
    »Nichts. Wie zuvor.« Meine Ungeduld hatte mich nicht davon abgehalten, mir die dreißig Bücher einmal genauer anzusehen, die Fludd in seinem Haus in Southwark aufbewahrte. Doch bei den von ihm hinzugefügten Anmerkungen handelte es sich fast nur um Zahlen; das war Mathematik, keine Chiffre, wie ich sie gewohnt war. Meine Augen schmerzten vom Lesen seiner winzigkleinen Handschrift. Nicht die kleinste Kleinigkeit hatte darauf hingewiesen, dass Mademoiselle Dariole in eines der beiden Häuser gebracht worden war.
    Saburo schnüffelte die Luft. Ich hatte mich bei meinem Einbruch für die vierte Nachmittagsstunde entschieden, da wir zu dieser Zeit am wenigsten auffallen würden. Büttel verteilten Fleisch und Getränke auf der London Bridge. Ob des Bratendufts verzog der Samurai angewidert das Gesicht.
    »Euer Eid hätte lauten sollen, nicht zu essen, bevor Ihr nicht zu James gelassen werdet«, sagte ich und lenkte mich mit dieser Spöttelei ein wenig von meinen Problemen ab. »Das wäre leichter gewesen, Messire. Dabei fällt mir auf … Ich will verdammt sein, wenn ich Euch bis jetzt etwas anderes habe essen sehen als Brot und Wurzeln.«
    Saburo deutete auf die Kirche von St Mary Overy in der Nähe der London Bridge. »Besser als wie ein Kannibale in Tempeln zu fressen!«
    »Wie ein Kannibale?«
    »Man hat es mir bei Hof erzählt. Euer Großer Kami verwandelt sich in Fleisch. Dann esst ihr ihn. Barbaren!«
    Selbst nach einem Blick in seine mandelförmigen Augen vermochte ich nicht zu sagen, ob der stämmige Mann das ernst meinte oder nicht. Wie auch immer, dachte ich, sollte doch irgendein unglücklicher Priester an James Hof ihm erklären, was es mit der Wandlung auf sich hatte. Ich lachte … und sofort begann ich wieder zu rechnen.
    Jetzt haben wir den Neunten dieses Monats, und wie lange wird sie nun schon vermisst? Fünfzehn Tage insgesamt.
    Falls sie denn überhaupt noch lebt. Vielleicht hat irgendjemand ihr ja schon am ersten Tag den Schädel eingeschlagen und ihre Leiche in den Fluss geworfen.
    Von Zeit zu Zeit entfaltete ich immer wieder das Papier, das der Gemeindepfarrer mir gegeben hatte, und las in Fludds Handschrift: ›Sie ist verletzt worden …‹ Es war so zerknittert, dass das Wort ›verletzt‹ kaum noch zu lesen war. Aus Erfahrung weiß ich, dass es nicht leicht ist, einen Mann unter Kontrolle zu bringen, wenn man ihn dabei nicht töten oder verletzen will, und Northumberlands Männer, Luke und John, waren mir nie wie professionelle Entführer vorgekommen.
    Fünfzehn Tage … Das war Zeit genug, um sich von ein wenig Prügel zu erholen, aber auch Zeit genug, um am Stich eines Rapiers zu sterben.
    Ich bemerkte, dass ich beim Gehen die
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