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120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin
Autoren: Jo Zybell
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eine lange schwarze Jacke, die hinten in zwei Flügel geschlitzt war. Dazu ein ehemals weißes Hemd mit aufgesticktem roten Greifenbild auf der linken Brust und einer merkwürdigen schwarzen Schleife im Kragen unter seinem Kinn. Seine Hosen waren kurz und aus bräunlichem Leder, sein Helm eisern und schwarz und ebenfalls mit dem Bild des roten Greifen geschmückt. Das alles war nur ein Teil seiner üppigen Garderobe, die man in Kisten verpackt im Keller ein großen Ruine gefunden hatte. Zwei Frauen lebten davon, das alte Zeug instand zu halten.
    Meistens ruhte seine Rechte auf dem Knauf seines langen Schwertes. Jetzt aber breitete Bolle Karajan die Arme aus, lief zu Siimn und ging vor dessen Rollstuhl in die Hocke. Derartig pathetische Gesten brachte der Stammesfürst von Pottsdam nur in Momenten größter Begeisterung. »Du hast längst einen Plan, mein kluger Berater, das sehe ich dir an! Rede, werter Siimn, ich beschwöre dich, rede!«
    Aus den Augenwinkeln sah Siimn die Mätresse die Beine übereinander schlagen. Er hatte sie nie zuvor gesehen. Sie stützte ihren Ellenbogen auf das Knie und ihr Kinn in die Faust. Kein Wort wollte sie sich entgehen lassen, wie es schien. Ihr Haar glänzte wie Brabeelensaft, und ihre Haut strahlte rein wie Wakudamilch. Sie war schön, ohne Zweifel.
    »Gertruud liefert immer seltener brauchbare Informationen, mein Fürst«, sagte Siimn. »Königin Jennys Leibwächterin misstraut ihr, und der neue Hauptmann der königlichen Garde hat angeblich zwei Späher auf sie angesetzt.«
    »Man wird sie enttarnen?« Bolle Karajan erhob sich wieder.
    Mit beiden Händen griff er sich an den Schädel und verzerrte sein Gesicht.
    »Möglicherweise.« Siimn hob die Brauen und blickte zu seinem Fürsten hinauf. »Kopfschmerzen?«
    Bolle Karajan winkte ab. »Der Wetterumschlag, nichts Ernstes.«
    »Ich empfehle Euch Fußbäder mit Knoblauchöl und Senfsaat. Aber zurück zu Gertruud.« Siimn griff nach den Holzrädern seines Rollstuhls und wendete ihn um neunzig Grad. Jetzt traf sein Blick sich mit dem der Fremden – schöne Augen! Wilde Augen! Smaragdaugen voller Leidenschaft! –, und unter seinem Zwerchfell flatterte ein Schwarm Sperlinge auf. »Sie könnte uns helfen, Johaan aus dem Weg zu räumen.«
    Siimns Stimme klang plötzlich ein wenig heiser. »Für Gertruud selbst habe ich schon einen Ersatz im Auge: die Tochter Olaafs, meines Lauschers in Beelinn. Sie ist erst Mitte dreißig, aber ein kluges Kind. Gertruud hat sie bereits auf meine Anweisung hin in die Verwaltung der königlichen Schatzkammer hinauf gearbeitet…«
    Siimn erläuterte dem Stammesfürsten seinen Plan, Bolle Karajan lauschte andächtig, die fürstlichen Leibgardisten verharrten wie festgewachsen, und die schöne Fremde im Sessel neben dem Thron lächelte.
    »Göttlich!« Bolle war begeistert. »Du bist ein Genie, Siimn!« Siimn hatte ihm weiter nichts als die übliche Mischung aus Intrige, Gift, Attentat und Verschwörung aufgetischt, aber genau das war es, was der Fürst liebte. »Ich werde mich um den militärischen Teil kümmern, und du wirst Jennys Thron auf deine Weise stürzen! Das Reich ist unser, Siimn! Und du hast einen wesentlichen Anteil daran!«
    So schwungvoll drehte er sich um, dass seine Frackschöße wehten. »Und zur Belohnung erhältst du ein fürstliches Geschenk!« Mit ausgestreckten Armen wies er auf die Fremde.
    Die Frau erhob sich und schritt ihm mit wiegenden Hüften entgegen. Bei allen Göttern zwischen Großem Fluss und Oda: Sie war wirklich unglaublich schön!
    »Naura!«, stellte der Fürst sie vor. »Sie sei dein!«
    ***
    Beelinn, Mitte Juni 2520
    Von Norden zog ein Gewitter heran, von Westen ein kleines Heer. Siebenundfünfzig Krieger zählte Jenny, und alle auf Flugandronen und Frekkeuschern.
    »Bolle, dieser Mistkerl…!« Den Feldstecher vor den Augen, stand die Königin von Berlin – oder Beelinn, wie die Überreste der Stadt in diesen modernen Zeiten genannt wurden – auf der Stadtmauer. An ihrer Seite ihre engsten Vertrauten: Oberst Bulldogg, der Chef der Palastwache, Johaan, ihr Erster Berater, Gertruud, ihre Zweite Beraterin, und Miouu, ihre Leibwächterin. »Bolle in vollem Kriegsornat! Was gibt das, wenn es fertig ist?«
    Bulldogg beabsichtigte nicht abzuwarten, bis die Wirklichkeit ihn mit der Antwort überraschte. Nach rechts und links rief er Befehle, ließ die Posten auf den Wehrgängen und Türmen verdoppeln, forderte zwölf zusätzliche Armbrustschützen ans Westtor und wies
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