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120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin
Autoren: Jo Zybell
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einen gewissen Sergant Deenis an, sich mit zwanzig gepanzerten Schwertträgern und der gleichen Anzahl Frekkeuschern vor dem Tor für einen eventuellen Ausfall bereitzuhalten.
    »Ich rate zur Zurückhaltung, meine Königin«, sagte Gertruud mit einem strengen Seitenblick auf Oberst Bulldogg.
    Ihre schlanke Gestalt in eine dunkle Robe gehüllt, das brünette Haar straff in den Nacken gekämmt und dort zu einem Dutt zusammen gebunden, die spitze Nase leicht angehoben und die Brauenbögen nach oben gewölbt, strahlte die knapp Vierzigjährige aristokratische Eleganz und Unnahbarkeit aus.
    »Ein kleiner Heerzug macht schließlich noch keinen Krieg.«
    »Solange er über den Bäumen flattert, noch nicht«, knurrte der schwergewichtige Bulldogg. Ein Lächeln spielte um Johaans Lippen, die Königin reagierte nicht, und der Oberst fuhr fort, seine Befehle nach rechts und nach links zu bellen.
    Der einäugige Chef der Palastwache trug eine Augenklappe und war groß und massig. Die Bezeichnung der gleichnamigen Hunderasse hatte ihm zu Beginn seiner vielen Jahre auf See der Skorbut eingebrockt: Bulldoggs übrig gebliebene Zähne, zwei an der Zahl, ragten ihm aus dem Unterkiefer über die Oberlippe Richtung Nasenlöcher hinauf. Niemand, der Bulldogg zum ersten Mal sah, hielt ihn ernsthaft für eine Intelligenzbestie. So kam es, dass er allgemein unterschätzt wurde. Auch eine Art von Talent.
    Seinen Job im Palast verdankte er übrigens einem Mann aus der Vergangenheit namens Maddrax; das bedingungslose Vertrauen der Königin seiner Verschwiegenheit und seiner Treue.
    Das Andronenheer aus Pottsdam schwirrte über den Wipfeln des Seeuferwaldes. Schon konnte man den roten Greif der Fürstenstandarte mit bloßem Auge erkennen.
    »Zu offensichtlich«, sagte Meister Johaan. »Wenn sie unsere Stadt wirklich angreifen wollten, würden sie nicht so offensichtlich heran marschieren. Das passt einfach nicht zu Bolle Karajan!«
    Der Erste Königliche Berater war ein hagerer Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren; ganz genau wusste niemand, wie alt er wirklich war. Unter seiner hohen Stirn funkelte ein Paar misstrauischer, wacher Augen. Nicht viel größer als die Königin, trug er eine dunkle Robe. Haar und Kinnbart waren angegraut.
    »Meine Rede«, sagte Gertruud mit spitzen Lippen.
    »Außerdem habe ich gute Kontakte zum Fürstenhof«, fuhr Johaan fort. »Ich hätte längst Nachricht, wenn der Pottsdamer Krieg im Schilde führte.«
    »Vergiss nicht: Bolle ist ein Narr«, sagte die junge Frau an Jennys linker Seite. Schwarzes Kurzhaar bedeckte Miouus schmalen Schädel.
    Schwarz war auch ihre knappe Lederkleidung. Ein Schwert hatte sie sich auf den Rücken gegürtet, zwei Messer steckten in ihrem Hüftgurt. »Narren sind unberechenbar, Narren tun unvernünftige Dinge.« Miouu war neunzehn. Manchmal aber sagte sie Dinge, die auch aus dem Mund einer Fünfzigjährigen nach ungewöhnlich großer Lebenserfahrung geklungen hätten. Jenny fragte sich oft, was dieser junge Mensch schon alles erlebt haben mochte.
    »Schon richtig, mein Schatz«, sagte sie. »Aber sein Berater ist kein Narr.« Die Königin setzte den Feldstecher ab. Fast die Hälfte des Pottsdamer Heeres flog dort über die Wälder des Seeufers hinweg. Und dreißig Bewaffnete Pottsdamer hatten zwei Kundschafter gestern entdeckt, und zwar auf dem Weg nach Norden. Was hatte das zu bedeuten? »Bolle zieht mit fast sechzig Fluginsekten vorbei, ihr seht es selbst.« Jenny setzte den Feldstecher wieder an die Augen. »Schickt ihm ein paar Kundschafter hinterher. Ich will wissen, was er vorhat.«
    Etwa zweihundert Meter von der Westmauer entfernt löste sich eine Gestalt aus den Bäumen des Waldrandes. »Ein Laufbote«, sagte die Königin. Bald erkannten sie einen Halbwüchsigen von höchstens fünfzehn Jahren – leichtfüßig rannte er über die Graslinie zwischen zwei Roggenfeldern, erreichte den Fahrtweg und näherte sich auf ihm rasch dem Westtor.
    »Es ist Tilmo«, sagte Johaan. »Endlich!« Der Junge diente ihm als Nachrichtenträger. Er trug eine kurze Hose und knöchelhohe Wildlederschuhe. Sein schmächtiger Oberkörper war nackt, dichte verfilzte Locken bedeckten seinen Kopf und fielen ihm weit in den Rücken. Vor dem Westtor blieb er schweratmend stehen, legte den Kopf in den Nacken und blickte zur Mauer hinauf. »Botschaft für den Ersten Berater der Königin!«, rief er heiser.
    Jenny hatte längst das Zeichen gegeben, und knarrend öffnete sich jetzt das schwere Außentor.
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