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120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin
Autoren: Jo Zybell
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nebenbei noch Medizinerin. Selina McDuncan, Andrew Farmer und Maddrax hatte sie Tiefschlaf verordnet. Erschöpfungssyndrom – oder drohendes Erschöpfungssyndrom. Aruulas Nervensystem hatte den Horror der vergangenen Tage besser verkraftet.
    Die Kommandantin der verlorenen Explorer wollte erst ihren Bericht loswerden, ihr Navigator lag bereits in seiner Koje im Laborsegment und schlief sich gesund. Zerschlagen fühlte Aruula sich auch. Aber schlafen? Sie war viel zu aufgekratzt.
    Und Maddrax? Er hatte die Tiefschlaftherapie abgelehnt.
    Verstohlen musterte sie ihn von der Seite: kantig seine Miene, schmal seine Lippen, vorgeschoben sein Kinn. Warum merkte man ihm die Erschöpfung nicht an? Er starrte auf das Panoramadisplay der Frontkuppel. Es sah aus, als würde er den Wald beobachten. Das tat er aber nicht, er blickte in irgendeine Ferne. Aruula wusste, wen er dort sah.
    Später schob sich das Schott auf. Colonel Cinderella Loomer bückte sich in den Kommandostand. »Ich löse Sie ab, Ben. Legen Sie sich ein bisschen aufs Ohr.« Selina folgte ihr nicht; wahrscheinlich kletterte sie gerade in eine Koje des Hecksegmentes. Captain Benjamin Rudolph räumte den Pilotensitz, grüßte mit einer Handbewegung und verschwand im Schott. Die Luke schob sich wieder zu.
    »Üble Sache.« Colonel Loomer ließ sich in den Sitz fallen.
    »Ganz übel. Der EWAT ist schwer genug zu ersetzen, Corporal Bolton überhaupt nicht. Commander McDuncan hätte ihn nicht allein an Bord der Explorer zurücklassen dürfen.« Weder Matt noch Aruula antworteten ihr.
    Cinderella Loomer war eine hochgewachsene, dunkelhäutige Frau. Sie trug eine goldfarbene Perücke aus kurzem Kraushaar. Wie Ende vierzig sah sie aus und war doch schon über siebzig. Sie überflog die Instrumente, spähte zum Panoramadisplay hinauf. »Wie weit noch bis nach Warschau?«
    »Zweihundertvierzig Meilen«, antwortete Major Billy.
    »Fünf Stunden, schätze ich, höchstens sechs.«
    Warschau, Minsk, Moskau – Namen, die Aruula nie gehört hatte, bevor Matt in ihr Leben getreten war. Nun, in dieser Hinsicht hatte sie kaum etwas versäumt. Was war Minsk denn weiter als einer unter vielen Trümmerhaufen? Davon hatte die Frau von den Dreizehn Inseln auch vor der Begegnung mit Maddrax genug gesehen; mehr als der Mann aus der Vergangenheit wahrscheinlich.
    Und Warschau? Zugegeben: Als Trümmerhaufen konnte man die Überreste der Stadt nicht unbedingt bezeichnen, Aruula kannte sie ja bereits. Doch lebten nicht lauter Verrückte dort? Geschwindigkeitsbesessene, die es ungeheuer wichtig fanden, die Motorwagen der Alten flottzumachen oder nachzubauen, um dann gegeneinander anzutreten und auf Leben und Tod herauszufinden, wer der Schnellste war.
    Narren!
    Noch einmal dreihundert Meilen oder sieben Wegstunden weiter südwestlich, in jener Ferne, in die Maddrax jetzt schon blickte, dort allerdings gab es einen Ort, der mehr war als ein Trümmerhaufen unter vielen; ein Ort zudem, an dem unter einigen Narren auch sehr kluge und starke Menschen lebten.
    Dorthin wollte Maddrax’ Herz, das spürte Aruula. Es tat ihr weh, genauso wie es ihr wehtat, den Geliebten traurig zu sehen.
    Sie atmete dreimal tief durch und sagte dann: »Von Warschau aus sollten wir nach Berlin fahren. Es liegt auf dem Weg.« Maddrax’ Kopf flog herum, überrascht sah er sie an.
    »Kommt nicht in Frage«, sagte die Loomer. »Unser Auftrag lautet: Die überlebende Besatzung der Explorer aufnehmen und Kurs auf die britische Insel nehmen.« Sie zog die linke, mit Goldfarbe aufgemalte Braue hoch und musterte die Barbarin. »Wie kommen Sie auf diese Idee, Miss Aruula?«
    »Ist so ein Gefühl«, sagte Aruula mit Blick auf ihren Gefährten. »Eine innere Stimme sagt mir, wir sollten Berlin aufsuchen.«
    »Wir haben in Minsk mit keinen Eingeborenen Kontakt aufgenommen, wir werden der Warschauer Bunkerkolonie die neusten Informationen im Vorbeiflug per Funk übermitteln – warum also sollten wir in Berlin einen Stopp einlegen?«
    »Berlin ist nicht Warschau, Colonel«, schaltete Maddrax sich ein. »Und schon gar nicht Minsk.« Seine Stimme klang entschlossen. »In Berlin lebt eine blühende Gemeinde, die über keinen Bunker verfügt, in dem sie vor den Daa’muren sicher ist wie die Kolonisten in Warschau – relativ sicher zumindest. Der Ort liegt genau auf der Achse London-Moskau-Kratersee, ein ideales Zwischenlager für das nukleare Material, das unsere Kristallfreunde bald in ganz Europa zusammensuchen werden. Die
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