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12 - Im Auge des Tigers

12 - Im Auge des Tigers

Titel: 12 - Im Auge des Tigers
Autoren: Tom Clancy
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Er sah nicht im Entferntesten danach aus.
    Die Verwirrung musste auf Davids Gesicht abzulesen sein.
    »Hast du Hassan wirklich vertraut, Jude?«, fragte der Mann. Doch seine Stimme verriet keine Befriedigung. Reine Verachtung sprach aus dieser Äußerung. In den letzten Augenblicken seines Lebens, bevor sein Gehirn durch den Sauerstoffmangel abstarb, begriff David Greengold, dass er auf den ältesten aller Spionagetricks hereingefallen war: das Segeln unter falscher Flagge. Hassan hatte ihm Informationen geliefert, um ihn aus seiner Deckung zu locken und zu identifizieren. Welch ein sinnloser Tod! Ihm blieb nur noch Zeit für einen einzigen Gedanken:
    Adonai echad.
    Der Mörder vergewisserte sich, dass seine Hände sauber waren, und überprüfte seine Kleidung. Aber Messerstiche dieser Art verursachten kein großes Blutvergießen. Er steckte die Brieftasche und das Päckchen ein, zog seinen Anzug zurecht und ging hinaus. An seinem Tisch blieb er kurz stehen, um 23 Euro hinzulegen – den Preis für sein Essen und wenige Cent Trinkgeld. Er würde ohnehin nicht so bald wiederkommen. Als auch dies erledigt war, kehrte er dem Ristorante Giovanni den Rücken und überquerte den Platz. Beim Ankommen hatte er einen Brioni-Laden bemerkt, und jetzt verspürte er das Bedürfnis nach einem neuen Anzug.
    Das Hauptquartier des United States Marine Corps befindet sich nicht im Pentagon selbst. Das größte Verwaltungsge-bäude der Welt beherbergt zwar die Army, die Navy und 10

    die Air Force, aber die Marines waren – aus welchem Grund auch immer – außen vor geblieben und mussten mit ihrem eigenen Gebäudekomplex vorlieb nehmen, dem so genannten Navy Annex, der 400 Meter weiter am Lee Highway in Arlington, Virginia, lag. Nicht dass das ein sonderlich großes Opfer gewesen wäre. Die Marines waren von jeher eine Art Stiefkind des amerikanischen Militärs –
    technisch gesehen eine der Navy unterstellte Truppengattung, deren ursprüngliche Aufgabe darin bestand, der Na-vy als Marineinfanterie – gewissermaßen als Privatarmee –
    zur Verfügung zu stehen. Ziel war es, zu vermeiden, dass Landsoldaten auf Kriegsschiffen stationiert werden mussten, da Army und Navy von jeher keine besonders freund-schaftlichen Beziehungen zueinander pflegten.
    Mit der Zeit hatte sich das Marine Corps seine eigene E-xistenzberechtigung geschaffen – mehr als ein Jahrhundert lang war es die einzige amerikanische Landstreitkraft, die das Ausland zu sehen bekam. Der Sorge um schwere Logis-tik, ja sogar um medizinisches Personal enthoben – dafür hatte man die Sanitätsgasten der Navy –, waren die Marines ausschließlich Schützen, deren Anblick eine ernüchternde, ja abschreckende Wirkung auf jeden hatte, dessen Herz nicht für die Vereinigten Staaten von Amerika schlug. Aus diesem Grund genossen die Marines unter Kameraden, die ebenfalls im Dienste Amerikas standen, zwar Respekt, aber keineswegs ungetrübte Zuneigung. Für die etablierten Teil-streitkräfte war ihr Gehabe zu selbstgefällig und ihr Sinn für Publicity zu ausgeprägt.
    In der Praxis bildete das Marine Corps gewissermaßen eine eigenständige kleine Armee – es verfügte sogar über eine eigene Luftstreitkraft, die zwar klein war, aber dennoch über beachtlich scharfe Reißzähne verfügte –, und dazu gehörte inzwischen auch ein eigener nachrichtendienstlicher Stab mit einem Abteilungsleiter für den Bereich Aufklärung, auch wenn einige der Militärs dies als Wider-spruch in sich betrachteten. Dieser Aufklärungsstab war im 11

    Zuge der Bestrebungen der Ledernacken, mit der Entwicklung der übrigen Streitkräfte mitzuhalten, neu eingerichtet worden. Der Chef hieß Major General Terry Broughton. Er trug die Stabsbezeichnung M-2, wobei die Ziffer »2« beim Militär stets für nachrichtendienstliche Tätigkeit steht. Der Berufssoldat Broughton war mittelgroß, stämmig und kam von der Infanterie. An ihm war die Aufgabe hängen geblieben, dafür zu sorgen, dass über dem Spionagegeschäft die Realität nicht gänzlich aus dem Blickfeld geriet. Das Corps hatte sich nämlich daran erinnert, dass irgendwo außerhalb des Papierdschungels ein Mann mit einem Gewehr stand, der auf brauchbare Informationen angewiesen war, um zu überleben. Es war eins der zahlreichen Geheimnisse des Corps, dass sein Personal es in Sachen natürlicher Intelligenz mit jedem aufnehmen konnte – sogar mit den Compu-tergurus der Air Force, die der Überzeugung waren, jeder, der ein Flugzeug fliegen
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