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12 - Im Auge des Tigers

12 - Im Auge des Tigers

Titel: 12 - Im Auge des Tigers
Autoren: Tom Clancy
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eine be-trächtliche Menge an Informationen hereinbrachten. Ein 7

    Teil dieser Informationen stammte von einem Agenten, den sie Hassan nannten. Er war palästinensischer Abstammung und verfügte über gute Beziehungen zur PFLP, der Volks-front für die Befreiung Palästinas. Was er dort erfuhr, gab er gegen Bezahlung an seine Feinde weiter – eine Bezahlung, die es ihm ermöglichte, sich eine komfortable Wohnung zu leisten, einen Kilometer vom italienischen Parlamentsge-bäude entfernt. Heute wollte David neues Material in Empfang nehmen.
    David hatte die Herrentoilette des Ristorante Giovanni, nicht weit vom Fuß der Spanischen Treppe, schon früher für solche Zwecke genutzt. Zuvor nahm er sich noch Zeit für ein Mittagessen – Kalb alla francese, eine Spezialität des Hauses – und für ein Glas Wein. Nachdem er ausgetrunken hatte, stand er auf, um sein Päckchen abzuholen. Das Material war an der Unterseite des ersten Urinals links deponiert
    – ein etwas klischeehaftes, aber durchaus brauchbares Versteck. Niemand, nicht einmal die Putzfrau, wäre auf die Idee gekommen, diese Stelle näher in Augenschein zu nehmen. Unter dem Becken klebte eine harmlos aussehende Stahlplatte, auf der der Name des Herstellers sowie eine völlig bedeutungslose Nummer eingeprägt waren. Selbst wenn diese Platte jemals bemerkt worden wäre, hätte sie garantiert keinen Verdacht erregt. Als David an das Urinal trat, beschloss er, die Gelegenheit zu nutzen, um zu verrichten, was Männer für gewöhnlich an diesem Ort zu tun pflegen. Während er damit beschäftigt war, hörte er, dass sich die Tür mit leisem Quietschen öffnete. Der Eintretende, wer immer es sein mochte, nahm keine Notiz von ihm. Trotzdem wollte David kein Risiko eingehen. Er ließ seine Zigarettenschachtel fallen und nahm, während er sich danach bückte und sie mit der rechten Hand aufhob, mit der Linken rasch das Päckchen aus seinem Versteck, wo es mittels eines Magneten befestigt war. Ein geschicktes Manöver –
    als ob ein Zauberkünstler mit einer Hand das Publikum ablenkt, während er mit der anderen unbemerkt seinen 8

    Trick ausführt. Nur dass das Manöver in diesem Fall miss-lang. David hielt das Päckchen kaum in der Hand, da rempelte ihn jemand von hinten an.
    »Entschuldigung, mein Alter – ich meine, signore«, korrigierte sich der Sprecher selbst. Er sprach Englisch mit jenem Cambridge-Akzent, der einem zivilisierten Menschen unwillkürlich das Gefühl vermittelt, es sei alles in Ordnung.
    David erwiderte nichts, sondern wandte sich nach rechts, um sich die Hände zu waschen. Er trat vor das Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf, da fiel sein Blick auf den Spiegel.
    Meist arbeitet das Gehirn schneller als die Hände. David sah die blauen Augen des Mannes, der ihn angestoßen hatte. Im Grunde recht gewöhnliche Augen – aber ihr Ausdruck war alles andere als gewöhnlich. Bis Davids Gehirn seinem Körper befohlen hatte zu reagieren, lag die rechte Hand des Mannes bereits auf Davids Stirn, und etwas Kaltes, Scharfes bohrte sich in Davids Nacken, direkt unterhalb des Schädels. Der Mann bog seinen Kopf weit zurück, damit das Messer leichter ins Rückenmark vordringen konnte, das vollständig durchtrennt wurde.
    Der Tod trat nicht sofort ein. Als sämtliche elektrochemi-schen Verbindungen zu den Muskeln abrissen, erschlaffte Davids Körper. Gleichzeitig schwand jegliche körperliche Empfindung. Es blieb lediglich ein brennendes Gefühl im Nacken, das David jedoch nur undeutlich wahrnahm. Der Schock des Augenblicks verhinderte, dass er echten Schmerz empfand. David versuchte zu atmen, unfähig zu begreifen, dass er dazu nie wieder in der Lage sein würde.
    Der Mann drehte ihn um wie eine Schaufensterpuppe und trug ihn zu der Toilettenkabine. Das Einzige, wozu David noch fähig war, war sehen und denken. Er sah das Gesicht, verband jedoch nichts damit. Das Gesicht schaute ihn an, wie man einen Gegenstand anblickt, ein Objekt, das man nicht einmal seines Hasses für würdig erachtet. Als David auf der Toilette abgesetzt wurde, versuchte er hilflos mit 9

    den Augen zu erfassen, was der Mann tat. Er griff offenbar in Davids Mantel – anscheinend wollte er ihm die Brieftasche stehlen. War dies etwa ein schnöder Überfall? Ein Raubmord an einem hochrangigen Mossad-Offizier? Ausgeschlossen! Der Mann packte David an den Haaren und hob seinen schlaff herabhängenden Kopf an.
    »Salaam aleikum«, sagte er – Friede sei mit dir. War das etwa ein Araber?
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