1185 - Im Schloss der Skelette
Stellen die Sterne zu sehen waren. Nur den Mond entdeckten wir nicht in dieser kalten Herbstnacht.
»Wir sind gleich da!«, flüsterte Claudine.
»Okay. Keine Sorge.«
»Das sagen Sie!«
Ich hatte die Lampe als Hilfe eingesetzt. Der Strahl glich einem hellen Band, das sich zuckend auf und ab bewegte und auch mal zur Seite hin wegglitt.
Claudine löste sich aus meiner Nähe, ging vor und auch zur Seite hin. Sie hatte den besseren Sichtwinkel, als sie stehen blieb und schräg nach vorn deutete.
Ja, da malte sich das Gemäuer ab.
Ich blieb neben der Frau stehen und schüttelte leicht den Kopf, was Claudine nicht verstand.
»Aber es ist wahr«, sagte sie. »Das ist dieses Schloss. Sie müssen es mir glauben.«
»Schon klar. Ich glaube Ihnen alles. Ich wundere mich nur, dass es tatsächlich so vorhanden ist. Bisher habe ich nur davon gehört.«
»Und?«
»Lassen Sie uns näher herangehen.«
»Ja.«
Überzeugend hatte sich die Antwort nicht angehört, was auch für mich verständlich war. Es war keine Umgebung, um in der Nacht spazieren zu gehen. Das Gemäuer mochte im hellen Tageslicht vielleicht völlig normal aussehen. In der Nacht und in der tiefen Dunkelheit wirkte es auf mich bedrohlich. Die Fassade schien eine einzige Warnung zu sein, die uns davon abhalten sollte, näher heranzugehen.
Das schaffte sie nicht.
Wir gingen näher.
Wir gaben genau Acht. Wir setzten unsere Schritte vorsichtig, und wir hielten dabei sogar den Atem an. Schon nach wenigen Sekunden entdeckten wir eine Stelle, die noch dunkler war als das normale Mauerwerk.
Es war der Eingang!
Claudine wollte nicht mehr weitergehen. Sie stand neben mir und schüttelte den Kopf. Sie brachte es nicht fertig, auch nur ein Wort zu sagen. Sie war von einer Faszination gefangen genommen worden, der sie nicht entrinnen konnte.
»Was ist mit Ihnen?« fragte ich leise.
Sie zuckte die Achseln. »Ich spüre es. Ich spüre genau, dass das Böse in der Nähe ist. Ich weiß Bescheid, John.« Sie streckte den rechten Arm aus und bewegte ihn kreisförmig. »Da vor uns, genau dort. Hinter dem Eingang, John, da sind die, die meinen Hund getötet haben. Es ist, als würde sich Ollies Geist melden.«
Ich schaltete wieder die kleine Leuchte an.
Auch als das Gemäuer von diesem wenigen Licht getroffen wurde, blieb es düster und abstoßend.
Pflanzen waren vom Boden her daran hochgerankt. Als ich beim Vorgehen weiter in den Eingang hineinleuchtete, verlor sich der Strahl nicht in irgendwelchen Räumen oder in einem Innenhof, sondern blieb in einem Tunnel oder einem Stollen hängen.
»Das ist nie ein Schloss«, murmelte ich. »Alles nur Fassade. Es geht in den Hang oder den Berg hinein.«
»Richtig, John.«
Unsere Schritte waren kaum zu hören. Das hohe Gras dämpfte alles ab. Ich merkte auch die leichte Gänsehaut, die sich auf meinem Rücken ausgebreitet hatte. Meine Blicke waren überall. Ich spürte, dass wir uns etwas näherten, das nicht in unsere normale Welt hineingehörte. Etwa zwei Schritte vor dem dunklen Eingangsloch blieben wir stehen, und ich hörte Claudines scharfen Atem.
Dann tippte sie mich an. Ihre Stimme zitterte. »Es ist in diesem Stollen, John, ich spüre es. In der dunklen Tiefe hält es sich verborgen. Sollen wir umdrehen und gehen?«
»Nein, Claudine…«
Sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Neben mir bewegte sie sich unruhig auf der Stelle. Ich trat noch zwei Schritte näher an das dunkle Loch heran und wunderte mich schon darüber, dass mich mein Kreuz bisher im Stich gelassen hatte, als sich genau dies änderte.
Auf einmal war der Kontakt da!
Ein Stich auf der Brust, ein Brennen, ein Wärmestoß, sodass ich beinahe zurückgezuckt wäre.
Ich vergaß meine Lampe. Ausgeschaltet steckte ich sie wieder zurück in die Seitentasche, um mich um das Kreuz zu kümmern, das ich unter meiner Kleidung hervorholte.
Von der Seite her schaute mir Claudine zu. Ihre Augen weiteten sich, als sie meinen Talisman sah.
Ihr Staunen wurde noch größer, denn plötzlich huschte das Licht über alle vier Balken hinweg. In der Mitte zeichnete sich ein rötliches Glühen ab.
Es breitete sich über das gesamte Kreuz aus!
So etwas hatte ich noch nie erlebt.
Claudine konnte nicht mehr an sich halten. Mit heftiger, aber leiser Stimme fragte sie: »John, was ist das?«
»Ich kann es auch nicht erklären, noch nicht…«
»Die Farbe sieht aus wie dünnes Blut.«
»Nein, Claudine, es ist etwas anderes. Blut ist nicht so dunkel und hat keinen
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