Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1175 - Zeitbeben

Titel: 1175 - Zeitbeben
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
vor sein Gesicht.
    „Du willst uns tatsächlich desintegrieren lassen?" fragte Prinzessin Demeter entsetzt.
    „Du, der du uns eigentlich beschützen und beraten solltest?"
    „Fürchte dich nicht, Liebste!" sagte Prinz Roi. „Unser Leben ist nicht so wichtig wie die Wahrheit - und die Wahrheit ist, daß Taurec und Vishna seine Freunde sind und es ehrlich meinen und daß er sich selbst am meisten schadet, wenn er sie vernichtet."
    Der Kalif schluchzte, dann nahm er die Hände vom Gesicht, auf dem nicht eine Träne glänzte.
    „Ich gebe euch eine Frist von fünf Stunden", erklärte er. „Ihr werdet während dieser Zeit zusammen sein und so vielleicht eher den Entschluß fassen können, der euch vor dem Tode bewahrt."
    Er klatschte in die Hände.
    Seneschall Topas und Truchseß Opal nahmen die Gefangenen wieder in ihre Mitte und geleiteten sie hinaus.
     
    *
     
    „Das Ganze ist irgendwie unwirklich", sagte Prinz Roi, als er mit Prinzessin Demeter allein in einem Kerker war. Diesmal waren sie nicht angekettet worden.
    „Du fühlst es also auch", erwiderte die Prinzessin.
    „Alles ist nur Staffage!" sagte der Prinz verächtlich. „Auch die väterlichen Gefühle sind nur vorgespielt. In Wirklichkeit empfindet die Macht, in deren Gewalt wir uns befinden, überhaupt nichts für uns."
    „Dann haben wir keine Gnade zu erwarten", meinte die Prinzessin. „Ich werde dennoch bei der Wahrheit bleiben." Ihr bronzefarbenes Gesicht bekam einen nachdenklichen Zug.
    „Aber gibt es überhaupt eine Wahrheit?"
    „Was Taurec und Vishna anbetrifft, schon", antwortete Prinz Roi. „Sie können gut oder böse sein, aber sie würden ihre Absichten nie hinter Lügen verbergen. Wenn sie etwas sagen, dann ist es wahr. Ich frage mich nur, woher ich das so genau weiß."
    „Ich weiß es auch - aus meinem Innersten heraus", sagte Prinzessin Demeter. „Aber müßte diese Macht, die sich hinter dem Kalifen verbirgt, es nicht ebenfalls wissen?"
    Prinz Roi zuckte hilflos die Schultern.
    „Da bin ich überfragt. Wir stecken in einem Meer von Vergessen und sehen eine Staffage von Masken. Um uns sind lauter Lügen. Ich glaube, wenn ich auch noch anfinge zu lügen, würde ich meine Persönlichkeit zerstören."
    „Genauso geht es mir", flüsterte Prinzessin Demeter. „Komm, mein Prinz! Setzen wir uns dort an den Tisch und halten uns an den Händen! Ich habe keine Furcht mehr - und ich werde gelassen sterben."
    Sie setzten sich auf die beiden Schemel und nahmen sich über dem Tisch bei den Händen...
     
    *
     
    Als die Tür geöffnet wurde, erhoben sich der Prinz und die Prinzessin.
    Kalif Virim persönlich stand schweratmend vor der Öffnung.
    „Nun, meine Kinder, habt ihr euch besonnen?" erkundigte er sich.
    „Wir sind entschlossen, bei der Wahrheit zu bleiben", erklärte Prinz Roi und ergriff abermals Prinzessin Demeters Hand.
    „Aber warum denn bloß?" rief der Kalif überrascht. „Ist euch euer Leben keine Lüge wert?"
    „Warum läßt du durchblicken, daß die gegen Taurec und Vishna erhobenen Anschuldigungen unwahr sind?" erkundigte sich die Prinzessin.
    „Aber das tue ich doch gar nicht", verteidigte sich der Kalif. „Ich möchte euch nur vor der Desintegrationskammer bewahren. Warum wollt ihr nicht euer Leben retten?"
    „Weil die Wahrheit wichtiger ist", sagte Prinz Roi. „Wir haben erkannt, daß das alles nur Staffage ist und daß auch du nicht der bist, der zu sein du vorgibst. Vieles ist uns ein Rätsel, aber eines wissen wir genau: An Taurec und Vishna ist kein Falsch. Und wir fühlen, daß es ein verhängnisvoller Fehler wäre, in diesem Fall unser Leben über die Wahrheit zu stellen. Frage mich nicht, warum wir unserer Sache so sicher sind. Wir könnten es nicht erklären. Aber es ist so."
    Kalif Virims Gesicht bekam einen lauernden Ausdruck.
    „Du sagtest ,in diesem Fall’, mein Sohn. Bedeutet das, daß ihr in einem anderen Fall eventuell lügen würdet?"
    „Warum nicht", antwortete Prinz Roi. „Wenn es niemandem schadet und wenn es einem guten Zweck dient, der anders nicht zu erreichen wäre. Beispielsweise, um jemanden oder uns selbst vor Unrecht zu schützen. Aber natürlich würden wir die Wahrheit nur für eine gewisse Zeit verschweigen."
    „Dann denkt ihr also nicht, daß euch Unrecht geschieht, wenn ich euch desintegrieren lasse?" erkundigte sich der Kalif.
    „Doch!" rief Prinzessin Demeter. „Du fügst uns Unrecht zu. Aber Roi hat dir ja schon gesagt, warum wir in diesem Fall lieber sterben, als uns mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher