Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Heams-Ogus
Vom Netzwerk:
waren es also, die das Schweigen, das die Männer des Waldes miteinander geteilt hatten, jäh zerschnitten. Vier Namen von vier Toten. Diesmal erfuhren die Chinesen es alle zur gleichen Zeit, nur wenige Minuten, nachdem sie einander vom Tod der Geiseln aus der Mühle von Jacobis erzählt hatten. Auf Worte folgten Tote. Die Realität, das war der Bericht über die ermordeten Geiseln gewesen, das war die Erde auf den im Kampf Gefallenen gewesen. Sie zeigte all diese verschiedenen Gesichter und kehrte vielgestalt und destabilisierend zurück. Sie fing nur das ein, was sich erzählen ließ, was in Worten gelebt werden konnte. Sie drang in die geheimen Zonen ein, in die verschütteten Gebiete, in alles, was in jedem besonders zerbrechlich war, dort hinein, wo in jedem das Zerbrechliche mit dem Schönen in Dialog trat. Als diese Mitteilung sie erreichte, waren sie zusammen. Sie trug in mehrerlei Hinsicht die Aussicht auf das Ende des Aufstands in sich. Diejenigen, die nicht vom Schmerz übermannt wurden, fingen an zu diskutieren, viele waren es nicht: die Anführer der verschiedenen Gruppen im Lager. Man war sich nicht auf ganzer Linie einig, aber zwischen den Worten, die gesprochen wurden, zeichnete sich ein gemeinsamer Ausblick ab. Es spielte keine Rolle, ob man beschloss, dieses Verbrechen, dem andere Verbrechen vorausgegangen waren, mit Blut bezahlen zu lassen, die Problemstellung blieb dieselbe. Es war nicht zu verhindern, dass der Widerstand bald vom Feind dem Erdboden gleichgemacht werden würde. Bosco Martese war der erste Kampf gewesen, daher waren sie isoliert, der Gnade deutscher Einheiten ausgeliefert, die jederzeit zahlreiche Kräfte zusammenziehen konnten, um sie zu vernichten, und die Helfershelfer aus der Gegend, die das Gelände ebenso gut kannten wie die Partisanen, würden sich nicht lange bitten lassen, ihren Teil zum Sieg beizutragen. Es war nur eine Frage von Tagen oder Stunden. In Anbetracht dessen war die Diskussion, ob man den Heldentaten weitere Heldentaten folgen lassen sollte, zweitrangig: So oder so würde man das Lager rasch auflösen müssen. Hinzu kam, dass den Partisanen die Hände gebunden waren: Capuani gehörte zu denen, die dem Widerstand fern geblieben waren, und viele hielten es für eine logische Folge, dass er der Nächste auf der Liste der Deutschen sein würde. Von den Vorsichtsmaßnahmen, die er getroffen hatte, damit niemand sah, dass er in das, was sein Werk war, verwickelt war, würden die Augen und Ohren, die den Deutschen Bericht erstatteten, sich nicht täuschen lassen. Darin lag die Gefahr, und der geringste Vorstoß der Partisanen konnte den Ablauf beschleunigen. Die Regeln standen auf jeden Fall fest. Auf Capuanis eigenes Verlangen hin war die Fassade, dass es zwischen den Partisanen und ihm keinerlei Verbindung gab, bis zum Schluss aufrechtzuerhalten, damit er für sie nicht zu einer potentiellen Gefahr werden konnte. Da allgemein bekannt war, dass er der Aktionspartei angehörte, war er eine hervorragende Fährte, um über ihn das Lager aufzustöbern. Es hieß daher, jegliche Verbindung zu kappen. Ein Kind, vier Namen, die genannt wurden, und schon nahm die vorgesehene Zerschlagung ihren Lauf, die von einem Augenblick auf den nächsten zu ihrer gemeinsamen Aussicht geworden war: eine Flut von Toten, ihr Anführer in Gefahr, das Lager, dem nurmehr eine Gnadenfrist bemessen war, es war genau der Augenblick, in dem die Lawinen sich lösten. Man klammerte sich fest. Sie beschlossen, eine Nacht darüber zu schlafen, und vertagten die Entscheidung.
    Die erste Nacht, nachdem eine Welt in sich zusammengestürzt ist, ist die der Schockstarre. Wenn sie vorüber ist, tritt man tastend daraus hervor, man versucht, diese neue Welt zu berühren. Man versucht, mit ihr zu sprechen oder sie zu hören, man versucht, Teil dieser Welt zu sein. Wenn die Nacht danach vorüber ist, hat man die Erstarrung überwunden. Man hat jede Stunde des Tages mindestens einmal erlebt und atmet immer noch, man hat jede einzelne überlebt, die Erschütterung vom Vortag färbt sich mit den Farben der Vergangenheit ein, und man findet sich mit ihr ab. Man hält die Stellung.
    Da sie wieder beisammen waren, gingen die Chinesen gemeinsam in diese zweite Nacht hinein. In ihrer Mitte saß, direkt neben der Angst, die Freiheit. Sie erlebten gemeinsam eine Zeit, die keine Ähnlichkeit mit den vorangegangenen Zeiten hatte. Und eine Wirklichkeit bildete sich heraus: Dieses gemeinsame Erleben würde bald zu Ende
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher