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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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denken, an die Augen des erstbesten Deutschen, der beschließen würde, die Flüchtigen zu orten. Diesen Wellen galt es, sich entgegenzustellen und dem ungünstigen Wind zu trotzen, aber man musste auch reagieren. Hartmann war die Antwort. Koste es, was es wolle, das Sterben der Toten von Teramo konnte nicht ohne eine Antwort der Partisanen bleiben. Dieses Zeichen war Hartmann. Hartmann erschossen, Hartmann tot, die Leiche Hartmanns an einer Wegbiegung. So wurde es beschlossen und ausgeführt.
    Die deutschen Soldaten fanden seine Leiche rasch. So endete der Tag des 25 . September 1943 . Eine Schlacht, Vergeltung, eine Exekution: Bosco Martese hatte stattgefunden und konnte anfangen, anders zu existieren, als eine Vergangenheit, eine Kraft, eine Richtung. Trotz der Verluste, der Toten, die in der Erde ruhten, gab es in dem Augenblick nichts, um die beunruhigende, unwillkürlich empfundene Hoffnung zu vertreiben. Eine unschlüssige Euphorie überkam die Partisanen. Sie gab sich nicht offen zu erkennen, aber als der erste deutsche Soldat von einem Lastwagen gestürzt war, als die Falle sich als wirksam erwiesen hatte, war sie absolut gewesen. Ein inneres Leuchten hatte sich im trockenen Staub des Kampfes gebrochen. Man hatte sich dazu bekennen und das, was sich da abzeichnete, verstehen und umarmen müssen, aber niemand hatte sich lange bitten lassen. Dennoch folgte darauf eine Nacht, und der nächste Tag war das Datum, an dessen Abend die Chinesen sich wiederbegegnen sollten, die schwarze Sonne des Vortages, die das nur scheinbar untergegangene Entsetzen wiederbelebte. Es war klar gewesen, dass die Deutschen zurückkommen und ihrer Gewalt freien Lauf lassen würden, und das taten sie. Bosco Martese und die an der Straße gelegenen Dörfer wurden den ganzen Tag über blind beschossen. Die Männer des Bosco verharrten in ihren Verstecken und riskierten nicht viel: Auf diese Phase war man vorbereitet. Die Deutschen kamen nicht, um sich dem Kampf zu stellen. Sie versuchten nicht, den Aufstand niederzuschlagen. Stattdessen wandten sie sich an die Abruzzen, schlugen drauflos, alle sollten es erfahren und weitersagen, machten Kriegslärm eher um des Lärmes als um des Krieges willen. Das war die zweite Falle, die in Bosco Martese aufgestellt worden war: die Deutschen zu unnützen Reaktionen zwingen, sie zu Zuschauern ihrer eigenen Unfähigkeit machen, den Hinterhalt vom Vortag zu verhindern, und der Zwangsläufigkeit, die sie dazu trieb, auf Dörfer zu schießen, deren Bewohner sich in Sicherheit gebracht hatten. Gleich, was für mächtige und zerstörerische Mittel sie einsetzten, nichts davon konnte die vorangegangene Offenbarung zunichtemachen, im Gegenteil. Der Überraschungsangriff aus dem Hinterhalt offenbarte Schwachstellen, er zeigte, dass Menschen geflohen waren und dass Waffen eingesammelt und anschließend gegen diejenigen gerichtet worden waren, denen man sie zuvor entwendet hatte. Dieses geduldige und stillschweigende Netz würden sie mit einer hastigen Vergeltungsaktion nicht auflösen können, in Gebieten, in denen sie sich schlecht auskannten. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich unterhalb des undurchdringlichen Waldes zu postieren, die Niederlage zu verdauen und zu schießen. Aber das ging vorüber. Es wurde wieder still. Das war alles, was es zu erzählen gab, das waren die allerletzten Stunden.
     
    Auf die erzählte Stille folgte eine Stille, die sie gemeinsam erlebten. Was hatten diese Männer in all den miteinander verbrachten Monaten einander gesagt? Nichts, oder fast nichts: Sie hatten über Unwesentliches geredet, sich darüber unterhalten, was Italien ihnen zumutete, den überfüllten Schlafsaal, die winterliche Kälte, letztendlich über sehr weniges. Sie hatten weder darüber gesprochen, wie schön die kleinen, fernen Täler bei Sonnenuntergang aussahen, noch über ihre Ängste, wenn es Nacht wurde und sie fühlten, wie Tränenlust ihnen ständig aufstieg und verging. In diesem Sturm aber fanden auf einmal Worte von denjenigen, die Geschichte geschrieben hatten und davon erzählten, ihren Weg zu denen, die ihnen lauschten. Sie alle, wie sie da gemeinsam unter den Bäumen saßen, waren die Geschichte. Ihre Stimmen nahmen nie gehörte Tonfälle an, Timbres, die ebenso neu für sie waren wie die Hänge der Laga-Berge, die sie nun kennenlernten. Alles zählte, alles zappelte: das Wort, das man wählte, der Punkt, in dem man sich uneinig war, die Abschweifungen, die Ellipse, alles, was Mensch in
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