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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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wirksamsten noch in der exponiertesten Schusslinie lag. Sie waren da gewesen, hatten ihren Fingerabdruck auf den Abzügen hinterlassen, sie hatten geschossen. Sie hatten den Umschwung mitgestaltet. Sie kannten die offiziellen Wendungen der Geschichte nicht, wussten nichts von dem Aufruhr, der sechzehn Tage zuvor von Rom ausgegangen war und die Grundlage für die allgemeine Rebellion gelegt hatte. Sie wussten auch nicht, welche gewundenen Wege die Boten benutzt hatten, als sie die Neuigkeit verbreitet und damit überall den Aufstand ausgelöst hatten. Sie kannten ja noch nicht einmal die Windungen des Weges von Bosco Martese besonders gut, das zufällig der erste Funke gewesen war. Tausend Männer, darunter vier Chinesen, hatten die innere Befreiung Italiens eingeleitet, das war am Vortag geschehen, und sie erzählten bereits davon. Sie fuhren fort. Von den vierzig Lastwagen der Kolonne hatten zehn umdrehen können, weil die Koordination in den letzten Minuten vor dem Angriff nicht präzise gewesen war. Ein ungeduldiger Schütze hatte zu früh das Feuer eröffnet, und obwohl alle anderen es ihm sofort nachgetan hatten, hatte sich die Zange nur unvollkommen um die Deutschen geschlossen. Es war dennoch ein harter Schlag gewesen. Der Anführer der Kolonne, der österreichische Major Hartmann, war gefangen genommen worden: Alle wussten nur zu gut, dass diese Kriegsbeute ein enormer Fang war, zwangsläufig würden die Vergeltungsmaßnahmen ebenfalls enorm ausfallen.
    Am Abend nach der Schlacht versorgte der Hügel der Partisanen seine Verwundeten, man befand sich auf einem Plateau, auf dem die Gewalt vorübergehend ausgesetzt war, aber unausweichlich blieb, und machte sich bereit, die gefallenen Partisanen zu beerdigen. Viele waren es nicht, aber ihr Ende verbot jegliche Euphorie. Zu all den bereits vorhandenen Gegensätzen innerhalb der Gruppe im Lager – Junge und Alte, Kommunisten und Christen, Arbeiter und Studenten – war ein neuer hinzugekommen: die Lebenden und die Toten. Bosco Martese hatte eine große Anzahl einander unbekannter Menschen angezogen, und so begann die Beerdigung, bei der die Menge, die sich dazu versammelt hatte, die Toten nicht kannte. Man begrub lediglich Bilder seiner selbst, des Toten, der man hätte sein können, des Himmels, den man zur gleichen Zeit vor Augen gehabt hatte wie sie. Ihre Leichen fielen in die schwere Erde. Und fast zum gleichen Zeitpunkt erfuhr das Lager von Vergeltungsaktionen. Es hatte also nicht lange gedauert. Die überlebenden Deutschen hatten die Partisanen, die sie in Torricella gefangen genommen und auf ihrer Flucht nach Teramo mitgeführt hatten, gleich nach ihrer Ankunft dort getötet. Für die Deutschen war das gleichbedeutend mit einem laut schallenden Eingeständnis ihrer Niederlage. Indem sie diese Leben beendeten, hielten sie niemanden und nichts auf, und sie würden sich nicht damit begnügen. Die Entfesselung hatte begonnen.
    Die vier erzählten, dass anschließend erbitterter Groll in der versammelten Menge aufgestiegen war. Die Gräber waren zugeschüttet worden. Jeder hatte versucht, sich in Gegenwart derer, die einen nahestehenden Menschen beweinten, würdig zu verhalten. Niemand hatte sich zu deplatzierten Gefühlsausbrüchen hinreißen lassen, aber ein Mehr an Traurigkeit hatte man durchgehen lassen an diesem Ort, an dem nichts außer Härte und Mut gefragt war. Das war es, was die Menge versucht hatte, und jeder einzelne darin. Dies war die prekäre Stimmung, in der sich die Menge befunden hatte, als die Nachricht eintraf. Das war der Grund für die Bitterkeit. Es kamen zu den im Kampf Gefallenen also auch noch derartige Katastrophen hinzu. Aus Toten waren noch mehr Tote geworden. Das war so simpel wie der Krieg, aber es war eben keine Armee, die da in den Laga-Bergen lagerte: Es waren Menschen, die eine Woche zuvor noch Brot gebacken oder Straßen repariert hatten. Sie hatten eilig gelernt, den Tod im Kampf zu akzeptieren, einen Tod, mit dem man rechnen musste, diese Kette von Ereignissen aber, diese Vergeltungsschläge waren eine Entwicklung, zu der sie keinen Schlüssel hatten. Es galt, einzustecken und standhaft zu bleiben. Zunächst jeder für sich und dann gemeinsam zu überlegen, was es bedeutete, ein Mensch zu bleiben, ein lebendiger Mensch. Zu spüren, wie Wut und Rache einen vorübergehend erzittern ließen, und zu sehen, wie diese Gefühle wieder abebbten. Ängste in sich aufsteigen fühlen, an die in den Dörfern zurückgebliebenen Seinen
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